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Berlin: Kunst auf dem Schlossplatz: Zwei Künstler planen ein Denkmal, in dem die Deutschen vier Wochen ihre schmutzige Wäsche waschen können

"Die Geschichtsschreibung ist eine Waschanstalt, aus der die Wäsche meistens schmutziger herauskommt als sie hineingebracht wurde." Edith SitwellVictor Kegli bevorzugt helles Tuch, am liebsten trägt er weiße Oberhemden.

"Die Geschichtsschreibung ist eine Waschanstalt, aus der die Wäsche meistens schmutziger herauskommt als sie hineingebracht wurde." Edith Sitwell

Victor Kegli bevorzugt helles Tuch, am liebsten trägt er weiße Oberhemden. "Mein Markenzeichen", sagt der Künstler. Im Kleiderschrank liegt deshalb immer ein frisches Dutzend parat, denn Kegli weiß: Egal, ob ein Tag in Mühsal oder Müßiggang dahingegangen ist, am Abend zeichnen sich an Manschetten und Kragen immer wieder dieselben hässlichen Schmutzränder ab. Ein Fall für die Waschmaschine, die bei Kegli wie in Millionen anderen Haushalten das automatisierte Zentrum im Kreislauf des befleckten Lebens und des ewigen Strebens nach äußerer Reinheit bildet. Da weiß man, was man hat.

Das Leben hinterlässt seine Spuren. Da unterscheidet sich der graue Alltag im weißen Hemd kaum vom Leben eines Volkes und seiner nationalen Geschichte. Immer bleiben dunkle Flecken, und kaum hängt die Wäsche vom letzten kollektiven Vollwaschgang zum Trocknen an der Leine, verdreckt sie aufs Neue.

Besonders angezogen fühlt sich Kegli von geschichtsbeladenen Orten, von symbolträchtigen Räumen, an denen staatliches Selbstverständnis sich mit Vorliebe in weißer Weste präsentiert. "Ich liebe Nationaldenkmäler", bekennt er, "Mein Lieblingsdenkmal ist der Heldenplatz in Budapest, das ist ein Trotzmal mit soviel Pathos, an dem sich eine lange gebeutelte Nation aufgerichtet hat", schwärmt der Sohn ungarischer Eltern.

Ähnlich leidenschaftlich spricht der 34-jährige Künstler, der im Schwäbischen aufwuchs und seit 1991 in Berlin lebt, seit einigen Monaten vom Schloßplatz. In Berlins Mitte will Victor Kegli jetzt selbst ein Nationaldenkmal errichten. Am Ufer der Spree, auf den Resten jenes Sockels, von dem das Reiterstandbild Wilhelms I. verschwand, als DDR-Sprengmeister Walter Ulbricht das historische Erbe vom Platz fegte, möchte Kegli demnächst 104 funktionsfähige Waschmaschinen aufstellen. "Wir möchten der Bevölkerung die Gelegenheit geben, ihre schmutzige Wäsche zu waschen", sagt Kegli, der sich das Projekt mit dem Titel "weiss 104" zusammen mit dem Hamburger Künstler Filomeno Fusco ausgedacht hat. "Ich habe Modedesign in Mailand studiert und viel Zeit in Waschsalons verbracht", erzählt Filomeno Fusco. "Das Ritual des Waschens hat mich immer fasziniert. Die Waschküche ist traditionell ein Ort des Austauschs und der Kommunikation, daher auch das Wort von den Waschweibern."

In einen Ort der Begegnung und des Dialogs möchten Fusco und Kegli auch den Schloßplatz verwandeln, wenn sie das Fundament des ehemaligen Reitermonuments, das Wilhelm II. seinem Großvater 1897 zu dessen 100. Geburtstag errichten ließ, in die Waschküche der Nation verwandeln. "Jeden Sonnabend wollen wir einen rituellen Waschtag abhalten. Die Wäsche soll dann entlang der Linienführung der ehemaligen Arkaden des Reitermonuments an Leinen aufgehängt werden", sagt Fusco. Dabei berufen sie sich auf örtliche Traditionen, die noch vor die Zeit "Wilhelms des Großen" zurückreichen. "In unmittelbarer Nähe war früher ein zentraler Waschplatz an der Spree", erzählt Kegli. "An diesen Brauch wollen wir anknüpfen, um ihn wieder in Erinnerung zu rufen und begreifbar zu machen."

Eine Genehmigung für ihre Installation haben die Künstler bereits beim zuständigen Tiefbauamt Mitte beantragt. Und auch ein "Konzern der Weißindustrie" habe schon Interesse bekundet, 104 Waschmaschinen baugleichen Typs bereitzustellen. Nach vier Wochen sollen die Waschmaschinen zur Finanzierung des Projekt versteigert werden. "Auch Nationaldenkmäler sind meistens nicht dauerhaft. Irgendwann werden sie geschliffen."

Kegli und Fusco verstehen ihren Waschplatz der Nation als "Denkmal des Volkes", das zum Aktionismus statt zur passiven Betrachtung auffordere. "Mit unserem Denkmal wollen wir die Menschen zur Teilnahme einladen. Der Aufbruch zur Demokratie ging im Herbst 1989 von aktiven Bürgern aus, die den Mut hatten, mit ihren Demonstrationen öffentlich schmutzige Wäsche zu waschen", sagt Victor Kegli.

Und ebenso wie die 177 ostdeutschen Bundestagsabgeordneten, die an gleicher Stelle mit einem "Einheitsdenkmal" zugleich an die Überwindung eines martialischen Nationalismus und die Vollendung der demokratischen Revolution von 1848 erinnern wollen, möchte auch Kegli mit seinem Projekt über den engen Rahmen der Ereignisse von 1989/90 hinausweisen. "Das Denkmal soll am 2. September, dem Tag der Sedan-Schlacht von 1870, enthüllt werden. Der Sieg der preußischen Truppen über Napoleon III. bereitete erst den Weg zur deutschen Einheit von 1870/71, die mit der Kaiserkrönung Wilhelms I. besiegelt wurde. Die Waschmaschinen sollen dann bis zum 3. Oktober stehen bleiben, um einen historischen Bogen über die Wechselfälle der deutscher Geschichte zu schlagen."

Eine Geschichte von Kontinuitäten und abgrundtiefen Brüchen, die das Denkmal der beiden Künstler ebenfalls sinnfällig widerspiegelt. Die Ausrichtung des Waschmaschinenfeldes erinnert auffällig an die steinernen Stelen des geplanten Holocaust-Mahnmals. "Die formale Parallele zeigt, dass die Einheit der deutschen Nation noch immer im Schatten dieser Katastrophe steht", sagt Victor Kegli, "das Holocaust-Mahnmal lässt uns erstarren zur Totenstille. Das ist angemessen für die Opfer eines Verbrechen, von dem sich keiner reinwaschen kann. Auch in diesem Spannungsfeld steht unser Nationaldenkmal. Die Vergangenheit lässt sich nicht verändern."

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