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Berlin: Treptow: Nach Hause mit Passierschein

Natürlich wollte Sabine Prokot nie ins Grenzgebiet ziehen. Aber dann kam Mitte der 80er Jahre alles ganz anders.

Natürlich wollte Sabine Prokot nie ins Grenzgebiet ziehen. Aber dann kam Mitte der 80er Jahre alles ganz anders. Die dreiköpfige Familie suchte eine größere Wohnung und bekam an der Bouchéstraße eine angeboten. "Für uns war das der absolute Komfort - drei Zimmer und Innentoilette", erinnert sich die Treptowerin. Die Lage, direkt an der Grenze, spielte deshalb bei der Entscheidung für das Quartier eine untergeordnete Rolle. "So war das eben damals", sagt sie. Man sei froh gewesen, überhaupt etwas Neues gefunden zu haben.

Auch der Alltag mit Ausweis- und Passierscheinkontrollen gehörte irgendwie dazu. "Wir haben uns nie groß Gedanken gemacht", sagt die heute 47-Jährige. Über die Betonmauer vor ihrem Haus konnte sie aus der dritten Etage in den Westen schauen. Sie blickte in die Fenster ihrer unerreichbaren Nachbarn. Und sie stellte damals fest, dass "die da drüben" mit dem gleichen Standard ausgestattet sind. "Die hatten ähnliche Einbauküchen wie wir", sagt sie. Zu Silvester gab es dann manchmal ein "Prosit" per Zuruf. Mehr Kontakt war nicht möglich.

Inzwischen sind die Prokots mit einer Neuköllner Familie von gegenüber befreundet. Sabine Prokot kann sich noch genau an den Augenblick im November 1989 erinnern, als sie das erste Mal mit ihrer Tochter West-Berliner Territorium betrat. "Ich hatte nur einen Wunsch", erzählt sie lächelnd. "Ich wollte schauen, wie meine Gardinen von weitem aussehen."

So banal das auch klingt, in den Jahren zuvor war das nicht möglich. Denn zwischen ihrem Block und der Grenze existierte nur ein knapp drei Meter schmaler Durchgang. Heute läuft die gelernte Handelskauffrau meistens so nach Hause, dass sie den inzwischen sanierten Bau von der Frontseite sieht.

Gerade in den vergangenen Monaten wurde sie oft an die Grenzzeit erinnert. Die Treptowerin führt öfter Besucher durch die Ausstellung "Geteilte Nachbarschaft - Erkundungen im ehemaligen Grenzgebiet", die noch bis Ende des Jahres im Heimatmuseum gezeigt wird. Dann berichtet sie auch von den Tricks, die man sich einfallen lassen musste. So durfte ihre Freundin sie eigentlich nur mit Passierschein besuchen. Weil das aber zu aufwendig war, lotste Frau Prokot sie kurzerhand durch den Hofeingang, denn der Hof galt nicht als Grenzgebiet. Heute gefällt es ihr erst richtig im Kiez. Sie entdeckte neue Parks und Spazierwege und richtet sich gerade ein Zimmer als Arbeitsraum ein. Dort will sie als Esoterikerin praktizieren.

bey

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