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Der Wandel der Mode: Ansichtssache

Jahrzehntelang lehrte er, was tragbar ist. Nun schließt Albert Eickhoff sein berühmtes Geschäft in Düsseldorf. Seine Kunden sind mündig geworden. Dank des Internets ist Mode heute überall. Doch sie zu finden ist nur das eine, sie zu verstehen etwas anderes.

Sie macht nicht viele Worte um sich: „Ich bin keine modische Instanz“, sagt Jessica Weiß. „Meine Website ist es schon.“ Und wenn sie mittels ihrer Person Dinge verkaufen kann – bitte schön. Vor sieben Jahren fing sie an, über Mode zu bloggen. Sie schrieb einfach über das, was ihr gefiel. „Ich höre immer auf mein Bauchgefühl“, sagt sie. „Und ich liebe alles, was mit online zu tun hat.“

Jessica Weiß, Ende 20, ist getragen von dem sicheren Gefühl, immer als Erste zu wissen, was gerade passiert in der Mode. Wenn sie ein Kleid auf ihrer Website „Journelles“ vorstellt und jemand weiterklickt zum dazugehörigen Onlineshop, bekommt sie beim Kauf eine Provision. Ihre Miete bezahlt sie davon noch nicht, dafür ist sie bei der Entwicklung neuer Verkaufskanäle dabei.

Gerade steht Jessica Weiß im Foyer des Berliner Privatclubs Soho House und schaut auf ihr Smartphone. Weiß ist Deutschlands bekannteste Mode-Bloggerin und immer online. Wenn sie morgens aufsteht, überlegt sie genau, was sie anzieht. Zu ihrer Arbeit gehört, sich vor ihrer weißen Wohnzimmerwand oder draußen auf der Straße zu fotografieren und die Bilder und ihre Gedanken dazu im Netz zu veröffentlichen. Sie möchte ausgerechnet im Soho House über ihre Arbeit reden, weil sie anschließend ein Stockwerk höher zum Hip-Hop-Training geht. Der Übergang zwischen Arbeit und Spaß ist für sie fließend.

Jessica Weiß könnte die Zukunft der Mode mitbestimmen. Wer auf der Suche nach Inspiration ist, oder schlicht nach einem neuen Outfit, findet beides in ihrem Blog. Eine nicht zu unterschätzende Orientierung in schnelllebigen Zeiten, in denen jeder gut aussehen möchte und nur die wenigsten wissen, wie das geht.

Mode ist längst keine elitäre Angelegenheit mehr, gesellschaftliche Gruppen kaum noch am Kleidungsstil zu unterscheiden. Bestimmende Regeln sind längst aufgelöst, und diejenigen die sie einst bestimmt haben, sind verunsichert. Große Marken zeigen ihre Modenschauen inzwischen online im Livestream und bieten direkt danach ihre besten Stücke im Onlineshop an, statt sich auf die Urteile weniger Meinungsmacher zu verlassen, die in der ersten Reihe sitzen. Die Entscheidung, was schick und tragbar ist, liegt beim Konsumenten.

Das Internet hat die Mode demokratisiert

Nur wenige Stunden vor dem Treffen im Soho House hat Jessica Weiß in ihrem Blog ausführlich beschrieben, was sie anhat und vor allem, warum. Ihre Userin Kathi schreibt dazu: „Oh wow, wie heiß können denn bitte basics sein :). tolle investition, sieht super aus.“ Weiß trägt eine bequeme Hose und ein schwarz-weiß gestreiftes Shirt aus geflammter Baumwolle. Sie schreibt: „Keines sitzt und fühlt sich so an wie dieses Teil.“ Ein Klick weiter und man kann das T-Shirt für 249 Euro in einem verlinkten Onlineshop kaufen. Smileys, wow, super, toll – es ist eine Welt ständiger Begeisterung und mädchenhafter Anteilnahme. Jeden Tag haben Jessica Weiß’ Anziehgeschichten 10 000 Leser. „Wenn ich mir die Gesichter vorstellen würde, hätte ich Angst“, sagt sie. So viele sind es.

Bei „Journelles“ gibt es eine unumstößliche Regel: „Wir stellen keine Frage, ob die User ein Outfit cool finden, wir wollen uns nicht die Einverständniserklärung der Leser holen.“ Was sie macht, ist kein Diktat, jeder kann sich heraussuchen, was er mag. Sie ist fest davon überzeugt, dass das Internet die Mode demokratisiert hat: „Heute hast du immer Zugriff, du kannst alles im Internet finden.“ Aber es zu finden ist eine Sache, es zu verstehen eine andere. Daher Weiß’ Konzept: „Etwas anziehen und zeigen, dann kann man es viel besser verstehen.“

Mode ist ein Dialog geworden. Jene, die heute mit Mode kommunizieren, wie Jessica Weiß, machen Vorschläge. Vorgaben macht niemand mehr.

Müller von der Bread & Butter findet: "Der Markt ist ver-rückt."

Wie und wo ein Kunde einkauft, von wem er sich beraten und leiten lässt, all dies sind genau die Dinge, die Karl-Heinz Müller, Chef der Berliner Modemesse Bread & Butter, Sorgen bereiten. Eigentlich ist seine Messe, die vom 14. bis 16. Januar wieder in Berlin stattfindet, eine Veranstaltung für Fachleute. Ab dem kommenden Sommer aber, zur zweiten Messe im Jahr, darf an zwei Tagen jeder, der möchte und sich für Mode interessiert zur Messe auf dem ehemaligen Flughafen Tempelhof. In Zeiten wie diesen sozusagen eine zwingende Konsequenz. Oder, wie es Karl-Heinz Müller Mitte Dezember ausdrückte: „Der Markt ist verrückt.“

Tatsächlich hat es so etwas in der Modebranche noch nie gegeben. Bisher hieß es, so eine Messe versteht der Endverbraucher nicht, da hängen die Kleider fürs nächste Jahr und kaufen kann man die natürlich auch nicht. Also forderte Karl-Heinz Müller die Aussteller und die Modehersteller auf: „Lasst euch was einfallen, Modenschauen für alle, verteilt T-Shirts, erzählt eure Story.“ Anziehgeschichten. Wie jene von Jessica Weiß.

Früher hat Eickhoff die Kunden gelehrt, was sie anziehen

Einer, der den Deutschen lange ein Dolmetscher der Mode war, ist Albert Eickhoff. Der Grandseigneur der bundesrepublikanischen Mode sitzt in seinem hohen ledernen Chefsessel in der neunten Etage seines Modehauses auf der Königsallee in Düsseldorf. Er trägt einen blauen, maßgeschneiderten Anzug, weißes Hemd und Einstecktuch. Der alte Herr hat Zeit, jetzt, wo er mit 78 Jahren bekannt gegeben hat, dass er sein Geschäft im kommenden Mai schließen wird. Er hat immer für seine Kunden gedacht. Jetzt bereiten sie ihm Kummer.

„Der Endverbraucher ist viel orientierter als früher. Da haben meine Frau und ich die Kundin gelehrt, was sie anzieht und was nicht“, sagt Eickhoff. „Heute ist die Kundin so mündig und selbstständig geworden durch all diese Medien.“ Dadurch verlieren Modehändler wie Eickhoff die Deutungshoheit. Das ist einer der Gründe, warum er aufhört.

In der Mode kennt jeder Eickhoff, sein Haus ist ein moderner Kubus aus Glas und Stahl, um den man ganz herumgehen kann. Albert Eickhoff ist nicht der Erste, der seinen Laden schließt, aber sein Entschluss ist ein Fanal. „Wir haben ein Zeichen gesetzt“, sagt er und schaut zufrieden. Eickhoff war nicht nur mehr als 50 Jahre lang der erste Mann der deutschen Modebranche, er war auch ihr bester Vertreter im Ausland.

Und so fängt Albert Eickhoff vom Ende her an, seine Geschichte zu erzählen. Warum er sich nicht mehr wohl in seiner Branche fühlt und fehl an vielen Plätzen der Mode. Er hat die großen Namen in Deutschland bekannt gemacht: Dior, Gucci, Versace, Armani. Eickhoff ließ sich immer gern in der Presse zitieren. Welche Farbe bestimmt das Frühjahr? Welche Kollektion in Paris hat Ihnen besonders gut gefallen? Warum werden die Hosen schmaler? Eickhoff konnte helfen, denn er erklärte und deutete die Zeit.

Eickhoff braucht Gucci zum Überleben

Jetzt gilt das alles nicht mehr. Wegen der informierten Kunden, Grund eins. Grund zwei: der Weggang der großen Fabrikanten. Einst hatte Eickhoff viele Marken exklusiv in Deutschland. Als Tom Ford Mitte der neunziger Jahre aus der biederen, angestaubten Firma Gucci eine erotisch glitzernde Marke machte, war Eickhoff sofort in Florenz. Vor einem Jahr hat Gucci die Zusammenarbeit aufgekündigt, sie wollten sich auf ihr eigenes Geschäft auf der Königsallee konzentrieren und keine Ware mehr an andere Einzelhändler rausgeben. Kurze Zeit später folgte das amerikanische Schuhlabel Jimmy Choo, das direkt gegenüber ein eigenes Geschäft eröffnete.

Eickhoff schrieb immer wieder E-Mails an den Inhaber: „Lasst uns doch nebeneinander leben“, für 50 000 garantierte Euro wolle er Ware ordern. Es half nichts. „Wir brauchen Stückzahlen, wir brauchen Dior, wir brauchen Gucci, mit den kleinen Marken und den Newcomern können wir nicht überleben“, sagt Eickhoff. Im Mai wird Dior in sein Haus auf der Kö ziehen. Eigentlich eine logische Schlussfolgerung: Eickhoff hat die Marken in Deutschland großgemacht, jetzt wird er von ihnen verdrängt.

Damit ist er bei Grund drei: die Läden der großen Marken. Es gibt keine Firma, die nicht versucht, in jeder größeren Stadt eigene Geschäfte zu eröffnen. „Flagshipstores“, die nicht nur profane Verkaufsflächen, sondern der Einstieg in eine andere Welt sein sollen. Hier hängt möglichst viel aus der Kollektion. Bei Albert Eickhoff hängt das, was er für das Beste hält.

Was schließlich zum vierten Grund für seine Aufgabe führt – dem Kampf um die Kleider. „Die Großen bestimmen, was die Einzelhändler kaufen sollen.“ Da verliert der galanteste Gentleman der Nation dann doch die Contenance, Eickhoff ist empört: „Das ist doch kein Geschäftsgebaren mehr! Wir dürfen nicht mehr ordern, was wir wollen. Wir müssen die Runway-Kollektionen kaufen, die überteuerten Angebote der Firmen!“

Mit feingliedrigen Fingern zupft er an seinen Ohren und sagt: „Damals war alles so einfach.“ Plötzlich ist die Erschöpfung wie aus seinem Gesicht gestrichen. Die Anfänge! Ja, damals, als er 1961 mit seiner Ehefrau Brigitte, beide waren erst seit kurzem verheiratet, hinter einem Vorhang in seinem allerersten Geschäft in seiner Heimatstadt Lippstadt sitzt, zwischen sich eine Kiste mit Piccolos von der Eröffnungsparty. Sie belauschen die Passanten, die draußen vor dem Schaufenster stehen. „Das wird nichts“, sagen die. „Das hält kein halbes Jahr.“ Aber weil es so etwas wie den Modesalon Eickhoff in der Bundesrepublik sonst nicht gab, kamen die Damen der Gesellschaft tatsächlich nach Lippstadt in Westfalen.

Seine erste deutsche Modenschau zeigte Gianni Versace in Lippstadt

Er war einer der Ersten, der nicht mehr die Berliner Couturiers verkaufte, nicht nur nach Paris fuhr, sondern schon in den siebziger Jahren nach Mailand. Dort entdeckt er Gianni Versace. Eickhoff ist begeistert von dem jungen Designer und seinem extravaganten Stil. „Gianni, komm nach Deutschland, ich mach dich groß“, sagt er. Im Stadttheater Lippstadt, Westfalen, zeigt der Italiener eine seiner ersten Modenschauen überhaupt. „Damit habe ich Geschichte geschrieben“, meint Eickhoff. 50 Models aus der ganzen Welt, unter ihnen Jerry Hall, wurden damals eingeflogen. Für Versace ließ er im besten Hotel in Lippstadt ein Telefon auf dem Zimmer installieren. „Ich war in Italien plötzlich ein Großer.“

Als Eickhoff 1981 schließlich seinen ersten Laden auf der Kö eröffnete, musste die Polizei die Menschenmassen vor der Tür in Schach halten. Zur Eröffnung gab es ein Kinderballett, eine Champagnerpyramide und eine Ausstellung mit den Kleidern von Roberto Cavalli im Breidenbacher Hof, dem ersten Hotel Düsseldorfs. Auch Cavalli war ein Freund. Dem Italiener, der knallige Kleider entwirft, gemacht für den Aufenthalt auf Privatjachten und in exklusiven Diskotheken, ist er immer treu geblieben. Auch, als in den Neunzigern niemand mehr dessen Sachen kaufen wollte. „Der war ganz klein“, sagt Eickhoff. Und eine Oktave höher: „Ganz mini, mini.“ Mit Daumen und Zeigefinger zeigt er einen winzigen Abstand. Aber jetzt will selbst Cavalli seine Kleider nicht mehr bei ihm verkaufen.

Eickhoff schüttelt den Kopf, gerade jetzt, während er von der Vergangenheit erzählt, wird ihm wieder richtig klar, es reicht. „Das alles ist eine super, sensationelle und bleibende Erinnerung, das lässt sich nicht mehr toppen.“

Elke Brämer verkauft kostbare Kaschmirmäntel

Sich auf mündige Kunden einstellen wie Karl-Heinz Müller, Chef der Bread & Butter oder Schluss machen, wie Albert Eickhoff – für die ehemalige Chefeinkäuferin des Berliner Luxus-Modekaufhauses Quartier 206, Elke Brämer, war beides keine überzeugende Option. „Der Verkauf von vielen Marken ist die Königsdisziplin“, sagt sie – und entschied sich für das Gegenteil. Statt bei vielen sucht sie die Sicherheit bei einer Marke, von der sie glaubt, dass die so viel Qualität und Tradition aufzuweisen hat, dass sie damit in der schnelllebigen Welt der Mode eine Zukunft hat.

Am Berliner Kurfürstendamm eröffnete Elke Brämer nun eine Filiale des italienischen Luxuslabels Agnona, ursprünglich ein Hersteller von edlen Kaschmirstoffen. Heute entwirft Stefano Pilati, ehemaliger Chefdesigner bei Yves Saint Laurent, für Agnona kostbare Mäntel aus hauchfeinem Kaschmir, die so lässig aussehen wie Morgenmäntel.

Brämer und ihr Mann sitzen auf eleganten weißen Sesselchen, eine Mitarbeiterin kümmert sich um eine Kundin, die beiden unterhalten sich auf Russisch. Brämer ist schlicht in Schwarz gekleidet, ihre Haare trägt sie zu einem Pferdeschwanz gebunden. Noch geht der Blick durch ihr Schaufenster direkt auf die orangefarbene Markise des Hotel Bogota in der Schlüterstraße, bald sollen auch dort Geschäfte für Luxuswaren einziehen. Wenn sie über die mit Hand versäuberten Nähte eines ihrer Mäntel streicht, das Muster erklärt und wie der feine Wollstoff doppelt gelegt wird, spürt man eine große Sicherheit. „Ich bin sehr, sehr froh, diesen Schritt gemacht zu haben“, sagt Brämer.

Jetzt kann sie sich konzentrieren, muss nicht mehr um die Welt reisen, um Ware feilschen, sie widmet ihr Leben einer Sache. Nicht einer großen Marke, deren Image sie polieren muss, sondern etwas Feinem, Kleinem wie diesem Kaschmirlabel, wo es vor allem um das exklusive Material und die Tradition geht.

„Wollen sie mal reinschlüpfen?“, fragt sie. Nur so könne man spüren, wie leicht und warm sich der Mantel anfühlt. „Er ist mit dem teuersten Kaschmirhaar gefüllt, wärmt besser als jede Daune und trägt nicht auf.“ Elke Brämer weiß genau, dass sie jemanden vor sich hat, der nie und nimmer 3000 Euro für einen Mantel ausgeben könnte. Aber das Erlebnis möchte sie teilen. Damit man versteht, warum sie sich entschieden hat.

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