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Grannyband. KBG84 füllt in Japan Konzerthallen und hat jetzt auch ein Album in den Charts.

© AFP

Japanische Kultband KBG84: Alter vor Schönheit

In Japan begeistert eine neue Popgruppe mit einem Durchschnittsalter von 84 Jahren die Massen. Sie passt zum Publikum, das auch immer älter wird.

In Choreografien tanzen sie durch die Gegend, lächeln charmant in die Kameras, singen, reißen Blicke auf sich. Kurz darauf steigt die ganze Insel in den Tanz ein. Natürlich spielt sich die Performance unter Palmen ab, mal auf knallgrünen Wiesen, mal am Strand vorm kristallklaren Ozean. Aber die Traumwelt dieses neuen Musikvideos hat doch ihren Haken: Für ihre reizenden Posen sind die Damen vor der Kamera ungewöhnlich betagt. So sehr, dass jede von ihnen seit zwei Jahrzehnten im gesetzlichen Ruhestand lebt. Und je genauer man hinsieht, desto mehr Sorgen muss man sich machen, dass eine von ihnen gleich zusammenbricht. Sie sind die Neuentdeckung des japanischen Popbusiness: KBG84, die sicherlich älteste Girlgroup, oder Grannygroup, der Welt.

Die Abkürzung KBG steht für Kohama Baa-chan Gasshoudan, was auf Deutsch übersetzt heißt: „Der Großmütterchor aus Kohama“. Die Zahl 84 steht dabei für das Durchschnittsalter der Sängerinnen. Der gegenwärtige Ruhm mag für diese 33 Damen von der südjapanischen Insel Kohama extrem spät kommen, leugnen lässt er sich aber nicht mehr: In den vergangenen Wochen tourte die Gruppe durch ganz Japan, füllte Konzerthallen und schaffte es in Fernsehprogramme, ihr erstes Album rangiert nun in den Charts. Dank der alten Sängerinnen ist das noch nie an skurrilen Experimenten arme Popgeschäft Japans um eine Sensation reicher. Und diesmal ist es eine, die gleich auf mehreren Ebenen für Aufsehen sorgt. Zum einen sind die Großmütter als offensichtliche Parodie auf AKB48 zu verstehen, die seit Jahren beliebteste Popgruppe Japans.

Sie speist sich aus 48 niedlich-kindlichen jungen Frauen, die sich durch harte Castingevents regelmäßig auswechseln. Wie keine andere Gruppe steht AKB48 für die „kawaii“-Kultur der japanischen Popbranche, also einen Hang zur Niedlichkeit, den viele heranwachsende Japaner daher nachzuahmen versuchen. Schließlich präsentiert ihnen auch die Werbebranche immerzu Bilder jung, unschuldig und ahnungslos erscheinender Mädchen. Die reifen Damen von KBG84 könnten kein klareres Gegenmodell bieten: schrumpelig, selbstironisch und um ihren vergangenen Glanz nicht verlegen. Die Methoden aber, sagt das Management, seien irgendwie doch ähnlich wie bei der Kommerzmaschine AKB48. Während die Tennieband ihre Mitglieder rausschmeißen, sobald sie zu alt werden, muss man bei KBG84 mindestens 80 Jahre alt sein. Erwünscht sind zudem Falten im Gesicht, auch eine gebückte Körperhaltung soll gern gesehen sein. Generell gilt: je offensichtlich älter, desto besser. Bei den Auftritten hinter der Bühne liegen neben Schminkkästen konsequenterweise auch Atemgeräte und Defibrillatoren.

Darauf scheinen sie gewartet zu haben

Aber die Damen sind wohlauf. „In Tokio fühlten wir uns wie Stars“, erklärte die 86-jährige Hideko Kedamori zuletzt. „Alle im Publikum hatten ein breites Lächeln im Gesicht. Das gab uns die Kraft, tief aus unseren Herzen zu singen.“ Und es ist wohl eher dieses Kuriosum als die Musik, die KBG84 zum plötzlichen Ruhm verhilft. Die simpel verpoppte Version der traditionellen Streichermusik aus Okinawa, die etwa ihr erstes Lied „Komm und tanz', Kohama“ prägt, entspricht nicht gerade dem üblichen Schlag durchstilisierter Populärmusik. Die japanischen Konzertbesucher könnten aber auch nur auf so eine hochbetagte Gruppe gewartet haben. Wo sonst hätte sie sich gründen sollen, wenn nicht hier? Japan ist schon heute die älteste Nation der Welt, und durch eine sehr niedrige Geburtenrate und die höchste Lebenserwartung der Welt steigt das Durchschnittsalter in hohem Tempo.

Derzeit ist fast jeder vierte Japaner älter als 65 Jahre, im Jahr 2050 wird dieser Anteil auf knapp 40 Prozent geschätzt. So wächst der Anteil der Rentner an der Bevölkerung, während jener jüngerer Menschen, an denen sich das Popgeschäft hauptsächlich orientiert, sinkt. Gleichzeitig sind viele dieser älteren Menschen noch hochaktiv. Alte Japaner machen durchschnittlich mehr Sport als Gleichaltrige anderer Länder, sie arbeiten auch länger und engagieren sich häufig in sozialen Aktivitäten. Das Singen, nicht selten in Form von Karaoke, ist ein beliebtes Hobby. Für KBG84 wird es jetzt vielleicht sogar ein Taschengeld neben der Rente. Dabei mögen die Damen aus Okinawa die ältesten ihrer Zunft sein, streng genommen sind sie aber nicht ganz die ersten. Von Osaka aus, der zweitgrößten Metropolregion Japans hinter Tokio, starteten vor zwei Jahren 47 Damen unter dem Namen „Obachaaan“ durch. „Obachan“ heißt Tante, oder im übertragenen Sinn, ähnlich wie im Deutschen, auch so etwas wie „Frau im mittleren Alter“.

Sie verkörpern ihre Herkunftsregion

Die 47 Mittvierzigerinnen zogen ebenfalls die berühmten Mädchen von AKB48 durch den Kakao, spielten mit dem Klischee, das ihrer Altersgruppe vorauseilt. In ihren Musikvideos gaben sie die typischen Plappertanten, die immer ein bisschen zu laut und aufdringlich sind, gerne Süßigkeiten verschenken und es auf charmante junge Männer abgesehen haben. Eine Zeit lang hielt sich die Gruppe auch im Geschäft: Das in Japan für seinen offensiven Humor bekannte Osaka hatte seine eigene Marke im Popbusiness. Auf ähnliche Weise verkörpern die Omas von KBG84 nun ihre Herkunftsregion Okinawa.

Die Inselgruppe im Südwesten Japans, die geografisch näher an Taiwan liegt, wird seit Jahrzehnten für ihre Langlebigkeit bewundert. Vor allem wegen der traditionellen Ernährung mit viel Gemüse und der Gewohnheit, den Magen nie vollzustopfen, sowie eines körperlich aktiven Lebensstils erreichen die Menschen aus Okinawa im Schnitt noch häufiger ein hohes Alter als die Menschen im Rest Japans ohnehin schon. Das okinawanische Dorf Ogimi trägt zudem den stolzen Titel „Ort der Hundertjährigen“, weil nirgendwo sonst der Bevölkerungsanteil derer, die zumindest 100 Jahre alt sind, so hoch liegt. Eine Popgruppe Hundertjähriger gibt es selbst im schnell alternden Japan noch nicht.

Vielleicht ist dies aber nur eine Frage der Zeit. Entweder könnte ein Musikmanager bald auf die Idee kommen, die Großmütter aus Kohama zu überbieten. Oder KBG84 hält sich so lange im Geschäft, bis ein dreistelliges Durchschnittsalter namensgebend wird. Die 92-jährige Tomi Menaka macht schon Hoffnung. „Ich war noch nie so glücklich wie bei unseren Auftritten“, sagt sie. Ein weiteres Gruppenmitglied ist 96. Schrumpelig mögen die Damen sein. Irgendwie „kawaii“, niedlich also, sind sie aber auch.

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