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Kultur: Otto Schily und das NPD-Verbot: Macht und Maßstab

Wann muss ein Minister gehen, wann darf er bleiben? Kann er alles wissen, muss er es?

Wann muss ein Minister gehen, wann darf er bleiben? Kann er alles wissen, muss er es? Wie weit reicht die Kette der Verantwortlichkeiten, bis sie zur Schlinge wird? Macht und Maßstab: Dieses Thema ist in der politischen Tagesarbeit das schwierigste; zumal dann, wenn der Alltag zum Sonderfall wird. Wie bei Otto Schily.

Quälende Ungewissheit machte sich breit, weil die Ermittlungen in den Behörden nicht weiterkamen. Ständig war der Innenminister am Telefon, ließ sich informieren, forderte weitere Informationen. Untergeordnete Stellen boten Erklärungen, die noch mehr verwirrten. Es war kaum noch zu ertragen. Dann meldete sich der Minister beim Bundeskanzler an, für ein wichtiges Gespräch: Er wolle zurücktreten. Der Kanzler riet ihm ab, versuchte, ihn zu besänftigen. Wenig später rief der Fraktionschef an, mit derselben Botschaft: Bleib! Aber der Entschluss stand fest. Der Bundesinnenminister ging vor die Presse und sagte: "Wer soll die politische Verantwortung übernehmen, wenn nicht der Minister?" Dieser Minister hieß Rudolf Seiters.

Wer, wenn nicht der Minister: Das ist die Frage, die sich in der Demokratie, die so sehr auf die politische Hygiene achten muss, immer wieder stellt. Seiters beantwortete sie 1993 mit dem Rücktritt. Er hatte sich persönlich nichts vorzuwerfen. Doch war da auch dieses schleichende Gefühl der Ohnmacht und sein Eindruck, das Richtige nicht ausreichend beeinflussen zu können. Frei nach Brecht: Sollen andere von ihrer Schande sprechen - Seiters empfand seine. Und handelte danach.

Öffentliche Demontage

Im Fall Seiters hatte das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" mit einer Vorabmeldung die Republik aufgeschreckt. Tötung durch Exekution, lautete der ungeheure Vorwurf zur missglückten Ergreifung von zwei mutmaßlichen RAF-Terroristen. Einer, Wolfgang Grams, sollte durch einen gezielten Genickschuss getötet worden sein. Ein Vorwurf, der sich später nicht mehr aufrecht erhalten ließ - aber Seiters hatte schon die Konsequenzen gezogen. Er wollte einer drohenden öffentlichen Demontage seiner Autorität zuvorkommen.

Mit keinem solchen, aber auch mit einem politisch hoch brisanten Fall plagt sich heute Schily. Es geht um sich verstärkende Vorhaltungen, dass Aussagen von V-Leuten zur Beweisführung das Vorhaben eines Verbots der NPD jetzt ernsthaft gefährden. Ein Vorhaben, das zu den beiden zählt, die von der Regierung innenpolitisch als herausragend wichtig bezeichnet werden. Das andere ist die Zuwanderung. Abgesehen von grundsätzlichen Zweifeln an der Eignung des Verbots, wie sie von liberalen Rechtsexperten schon vorher geäußert wurden: Ein Scheitern an Unzulänglichkeiten, an einem Mangel an Informationen, an unzureichender Wahrnehmung von Kompetenzen - das wäre spektakulär. Das Gegenteil dessen, was erreicht werden soll, wäre zu befürchten: Auftrieb für die Rechtsradikalen.

Damals wie heute fordert die Opposition nicht mehr (oder nach anfänglichem Drängen nicht mehr so lautstark) den Rücktritt. Wirrwar gebietet Vorsicht vor einem schnellen Urteil, und wer regiert hat, weiß das. Jörg Schönbohm, der Länderkollege aus den Reihen der CDU in Brandenburg, formuliert dementsprechend: "Schily braucht von mir keine öffentlichen Ratschläge."

An seinen Beamten gescheitert

Schönbohm sagt es in dieser Weise, weil er weiß, nach welchen Entwicklungen es zum Rücktritt kommen kann - aus seiner Zeit im Verteidigungsministerium. Der Christdemokrat Gerhard Stoltenberg trat 1992 wegen des illegalen Exports von 15 Leopard-Panzern an den Nato-Partner Türkei zurück. Wie sagte der FDP-Vorsitzende Otto Graf Lambsdorff damals? "Stoltenberg hat die politische Verantwortung für die Vorgänge in seinem Haus übernommen, ohne dass ihm persönlich ein Fehlverhalten zur Last gelegt werden kann." Dieser Minister scheiterte auch an seinen Beamten.

Aber nicht immer sind es große, vermeintlich hehre Gründe, die zur Demission führen. Parteipolitisches und Persönliches, unten angesiedelt in der Hierarchie der Vorwürfe, kann es auch sein. Jürgen Möllemann ist dafür ein bezeichnender Fall. Der umtriebige Freidemokrat hatte sich beim Amt des Bundeswirtschaftsministers in der Regierung Kohl übernommen. Da reichte dann eine Burleske. Einkaufswagenchips im Einzelwert von zwei Mark 50, eigenhändig unterschriebene Empfehlungsbriefe auf Ministerpapier zu Gunsten des damit handelnden angeheirateten Vetters - Möllemann fiel. Und die Grande Dame des guten politischen Stils, Hildegard Hamm-Brücher, setzte diesen Maßstab: Gingen Briefe des Ministers ohne dessen Kenntnis heraus, habe der versagt. Denn das sei ein Zeichen dafür, "dass er sein Haus nicht in der Hand hat". Das Amt im Griff zu haben, war aber aus ihrer Sicht Bedingung für einen Verbleib.

Der Innenminister bot dem Bundeskanzler seinen Rücktritt an: Er wolle die politische Verantwortung übernehmen. Der Kanzler drängte ihn zu bleiben, die Fehler habe doch nicht er, die hätten andere gemacht. Otto Schily ist weiter im Amt.

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