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© Davids

Konzert: The XX: Zauberkristalle

Magischer Minimalismus: The XX spielen an einem Abend zwei Konzerte im Berliner Astra

Den ersten Auftritt hat die Band schon am frühen Abend, beim Umtrunk im Ausstellungsraum HBC am Alexanderplatz. Der Londoner Künstler Saam Farahmand hat das Debütalbum von The XX als begehbares Musikvideo umgesetzt. Wie in einem magischen Feuerkreis darf der Betrachter zwischen Videoscreens umherwandern und den Musikern beim Spielen in die Augen sehen. Ein profaner Fetischisierungsversuch, der die hypnotische Wirkung dieser von Kritikern einhellig gefeierten Post-Dance-Juwelen unterstreicht – und von der irren Aufmerksamkeit zeugt, die auf den kaum 20-Jährigen lastet. Zwei Konzerte wird die Band an diesem Abend im Astra spielen. Und nachts geht’s noch ins Ballhaus, wo sie ihre liebsten Liebeslieder auflegen. Kann das gutgehen?

The XX überlassen auf der Bühne nichts dem Zufall. Alle Klangschnipsel passen punktgenau zusammen. Romy Croft zupft ihre Gitarre so unwiderstehlich, dass die Töne wie kleine Pfeile durch den Raum schießen. Und Oliver Sims Bassläufe treffen Herz und Magen der Zuschauer. Der Gesang der beiden bildet eine verschworene Einheit. Ihre zaghafte und seine tiefe Stimme bilden zwei Seiten derselben Medaille, die durch Jamie Smith Struktur erhält. Der lenkt an der Drum-Machine und den Keyboards Gitarren- und Bassläufe in die richtige Richtung. Es sind wummernde Beats, die keine Spur von Bombast haben. Pianoläufe, die kein bisschen Kitsch zulassen. Alles verschmilzt zu einem hypnotisierenden Ganzen, das sich selbst genug ist. Es geht bei The XX nicht um Mehr, sondern um Weniger. Ein paar gekonnte Breaks und einige ausufernde Drumparts, bei denen Sim einmal ein Becken traktiert. Doch selbst das ist nicht wild ekstatisch, unkontrolliert gar, sondern ganz genau dosiert. Für Mitklatschen bleibt kein Raum. Zaghaft versuchen es einige trotzdem. Leichte Unsicherheit macht sich breit. Tanzen – zu dieser Musik? Klatschen, jubeln, schreien? Alles irgendwie schwierig. Plötzlich öffnet sich ein Ventil, einmal, mittendrin, als Stille wieder einmal zum Stilelement wurde, ruft jemand lauthals „You are so great!“ Dann klatschen alle, und selbst Oliver Sim lacht etwas verlegen, verneigt sich und sorgt gleich wieder für Ruhe. „Go slow“ ist ihr Motto – und das haben sie rasend umgesetzt.

Und noch mal. „Das ist unser zweites Konzert heute Abend“, raunt Oliver Sim über 1600 Köpfe hinweg. Er sagt es später noch mal, als könnte er selbst nicht glauben, mit welchem Triumph die Tour ihren Abschluss findet. Das Publikum zeigt sich nach Mitternacht schon recht bierselig, was auf Kosten der Konzentration geht. Wo doch gerade da die Stärke von The XX liegt, in höchster emotionaler Dichte bei minimalem Ausdruck – wie vor zwanzig Jahren die Young Marble Giants liefern die Londoner das dunkle Negativ zum euphorischen Tanzflächensound. Das Doppel-X, das an Jamie Smiths Drummachine-Pult leuchtet, verweigert die direkte Kontaktaufnahme, wie die Kreuz- Augen einer Voodoo-Puppe oder Paketklebeband auf den Lippen.

Das erste Opfer hat der Erfolgsdruck inzwischen gefordert: Anfang November stieg Gitarristin Baria Qureshi wegen Überanstrengung aus. Drummer Jamie Smith übernimmt ihre Parts auf dem Keyboard, als wäre nichts.

Die Band ist ehrlich bemüht, den Eindruck von Fließbandarbeit zu vermeiden, und balanciert ihre zerbrechliche Ladung nur anfangs etwas zu hastig. Sim, den Bass auf Brusthöhe geschnallt, wirkt angespannt und zeigt vereinzelt Timingprobleme. Der Paargesang mit Gitarristin Romy Croft bei „Crystalized“ gelingt dennoch so ergreifend wie auf dem Album. Das Rollenspiel der beiden, das die Klagegesänge sich verpassender Liebender zur Aufführung bringt, ist zauberhaft. Traumwandlerisch streifen Sims samtenes Raunen und Crofts entrückter, an Tracey Thorn erinnernder Gesang umeinander, bis sie sich im Chor finden.

Trotzdem: The XX sind eine Album- Band. Da jede spontane Expressivität den Zauberzirkel brechen würde, kann die Band live wenig hinzufügen. Es ist die Aufführung eines geschlossenen Werks. Sollte sich die Band wie die Young Marble Giants bald auflösen, empfiehlt sie sich bereits selbst als künftige Referenzgröße. 

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