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Meinung: Die Grünen: Visionen für Pragmatiker

Wenn es in der deutschen Politik etwas gibt, das besonders deutsch ist, dann sind das die Grundsatzprogramme der Parteien. Wahrscheinlich wird in kaum einem anderen Land so ernsthaft und ausführlich über Begründung und Letztbegründung des eigenen Handelns gestritten wie in dem Land, dessen Bewohner nach einem Satz von Grillparzer das Seminar wählen, wenn sie vor die Wahl zwischen dem Paradies und einem Seminar über das Paradies gestellt werden.

Von Hans Monath

Wenn es in der deutschen Politik etwas gibt, das besonders deutsch ist, dann sind das die Grundsatzprogramme der Parteien. Wahrscheinlich wird in kaum einem anderen Land so ernsthaft und ausführlich über Begründung und Letztbegründung des eigenen Handelns gestritten wie in dem Land, dessen Bewohner nach einem Satz von Grillparzer das Seminar wählen, wenn sie vor die Wahl zwischen dem Paradies und einem Seminar über das Paradies gestellt werden.

Nach zweijähriger Debatte haben die Bündnisgrünen ein Grundsatzprogramm vorgelegt, das in wenigen Wochen von einem Parteitag bestätigt werden soll. Der fast 100-seitige Text soll den Grünen wieder die Orientierung geben, die sie auf dem mittlerweile zwanzigjährigen Marsch aus der Totalopposition hin zu den Ministerbänken der Republik verloren haben. Es geht also um Selbstvergewisserung und Ausstrahlungskraft einer ehemaligen Protestbewegung, groß gesagt: um Visionen für Pragmatiker.

Nun ist im Wahljahr der Blick nicht auf das Jahr 2020 gerichtet, das den Titel des neuen Programms schmückt, sondern auf den 22. September. Deswegen gehört wenig Propheten-Gabe zu der Vorhersage, dass die Wahl von Joschka Fischer zum alleinigen Spitzendkandidaten seiner Partei mehr Aufmerksamkeit erregen wird als der vorläufige Abschluss grüner Selbstfindung. Daran, dass die Spitzengremien den Außenminister am Montag offiziell zum Solo-Matador für die Wahlschlacht bestellen, gibt es keine Zweifel mehr. Es wäre falsch, deshalb die Wirklichkeit der Partei auf die Formel zu bringen: großer Zampano statt großer Visionen. Denn es ist nicht so, dass der so genannte Realpolitiker Fischer mit den Visionen des neuen Programms wenig zu tun hat. Vor allem im außenpolitischen Teil hat sich das Ergebnis jenes oft quälenden Lernprozesses niedergeschlagen, zu dem der Außenminister seine eigene Partei in den vergangenen Jahren immer wieder genötigt hatte. Das Programm liefert nach Rostock nun den Beweis dafür, dass die Grünen eine regierungstaugliche Außenpolitik unter Einschluss militärischer Mittel nicht mehr als eigentlich ungehörig empfinden, sondern aus ihren eigenen Werten begründen wollen.

Interessant ist aber auch, in welchen Punkten Fischer im Vergleich zu seinem Parteiapparat wieder einmal vorangeht. Im vergangenen Jahr wollte eine Gruppe grüner Nachwuchskräfte die Kinderpolitik zum zentralen grünen Projekt machen. Parteichef Fritz Kuhn kanalisierte das Vorhaben in einer schnell eingerichteten Kommission. Im Programm haben sich die Grünen nicht zu einem eigenen Kapitel "Kinderpolitik" durchringen können. Ein eigenes Frauenkapitel aber hat die Basis sich noch schnell erkämpft - der feministische Impuls der frühen Jahre will bedient werden.

Natürlich ist es auch für kleinere Großorganisationen, die viele Loyalitäten bedienen müssen, sinnvoller, die eigenen Traditionswurzeln zu pflegen, statt sie zu kappen. Und der Feminismus gehört zur Geschichte der Grünen. Aber da ist ja auch noch die Zukunft. Ein Grundsatzprogramm mit dem Anspruch, Orientierung für die kommenden zwei Jahrzehnte zu bieten, hätte ein deutlicheres Signal zugunsten der Nachwuchspolitik setzen können, statt das Thema Kinder zwar stark zu gewichten, es aber in vielen Kapiteln zu verstecken. Der Außenminister und künftige Spitzenkandidat hat intern schon seine ersten Wahlkampfreden gehalten. Zentrales Thema: Politik für Kinder. Manchmal ist Joschka Fischer eben immer noch für eine richtige grüne Vision gut.

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