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Hatice Akyün ist Autorin und freie Journalistin. Sie ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause.

© promo

Sexismus-Debatte: Wie man Womanizern den Stecker zieht

Ihr Chef fragte sie einmal: "Was ist los, bist du schlecht gevögelt?" Heute weiß sich unsere Autorin zu wehren. Sie ist sicher: Sex wird in allen Bereichen des Lebens missbraucht. Um Macht zu demonstrieren, um zu erpressen, als Ausdruck von Gewalt.

Ey, glaubst du an Liebe auf den ersten Blick, oder soll ich noch mal reinkommen? Mit diesem Spruch versucht mein kleiner Bruder, bei Frauen zu landen. Und wenn es mal nicht klappt, bedeutet für ihn „Nein“ auch „Nein“. Mein Bruder ist viel zu fasziniert von Frauen, als dass er schlecht über sie reden oder sich vor ihnen daneben benehmen würde. Gut, jetzt hat mein Bruder nicht die Aura der Macht, die manchem der Alphatierchen jeden Respekt im Umgang mit Frauen erspart.

Als Frau habe ich vermutlich wie nahezu alle Frauen schon Situationen mit Männern erlebt, die unangenehm waren. Die meisten konnte ich abwehren. Einmal äußerte ich impulsiv inhaltliche Kritik an einer Geschichte. Mein damaliger Chefredakteur meinte: „Was ist denn mit dir los, bist du schlecht gevögelt?“ Die männlichen Kollegen grinsten, die weiblichen schwiegen und schauten betreten auf den Boden. Und ich antwortete mit Herzklopfen: „Falls das ein Angebot war, würde ich gerne den Betriebsrat mit in die Verhandlungen einbeziehen.“

Es gab aber auch Grenzüberschreitungen, die ich erduldet habe. Weil ich noch jung war und Angst hatte, dass mich mein Chef für die Zurückweisung bestrafen könnte und mich im Job benachteiligt. Es war aber allein meine Entscheidung, den Mund zu halten.

Ich gewinne langsam die Erkenntnis, dass die drei Urtriebe des Mannes, Jagen, Sammeln und Fortpflanzen, sich als Relikte der Steinzeit nicht weiterentwickelt haben. Es scheint, dass Sex und seine Anbahnung als das einvernehmliche Aushandeln von Regeln und Umgangsformen zwischen zwei Menschen auszusterben droht. Männer berühren Frauen ohne Einladung und rauben sie emotional aus. Schlüpfrige Übergriffe und hormongesteuerte Sabbeleien führen leider auch zur pauschalen Verurteilung der Männer, die sich von den Urtrieben längst emanzipiert haben.

Interessanterweise werden bei der Geschichte um Brüderle beide Lager gut bedient. Auf der einen Seite der Reflex des Aufschreis, weil jeder intuitiv glaubt, sich vorstellen zu können, wie der angesäuselte Politiker im Ausschnitt der Journalistin versinkt. Und auf der anderen Seite die Empörten, die den Täter zum Opfer und das Opfer zum Täter machen. Wie kann die sich nur so wichtig machen und den armen, alten Mann so böse vorführen? Alles Schlampen, außer Mutti. Die Schauspielerin Angie Dickinson soll, befragt nach ihrem Verhältnis zu John F. Kennedy, gesagt haben: „Sex mit dem Präsidenten waren die besten 20 Sekunden meines Lebens.“ Souveräner kann man einem Womanizer den Stecker nicht ziehen.

Sex wird in allen Bereichen des Lebens missbraucht. Um Macht zu demonstrieren, als Potenzial zum Erpressen, zum Bloßstellen, um jemandem seinen Willen aufzudrängen, als Ausdruck von Gewalt. Wer sich einvernehmlich hochschläft, missbraucht Sex auch, als Mittel zum Zweck.

Oder wie mein Vater sagen würde: „Bir sapkanin altinda iki yüz tasiyamazsin“ – unter einem Hut kann man nicht zwei Gesichter tragen.

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