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Politik: Das Opfer der Stasi als Anwalt der Opfer

Der Bundestag wählt Roland Jahn zum Nachfolger von Marianne Birthler – selbst Linken-Politiker zollen ihm Respekt

Von Matthias Meisner

Berlin - Grünen-Fraktionschefin Renate Künast fängt Roland Jahn in der Lobby vor dem Plenarsaal im Reichstagsgebäude ab. Eben ist der 57-Jährige zum neuen Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen gewählt worden, Amtsinhaberin Marianne Birthler hört Mitte März auf. „Denke immer daran“, sagt Künast zu Jahn – und der versteht gleich den verschworenen Code. Wenige Jahre vor der Wende hatte Jahn in West-Berlin Künast getroffen und ihr die „Vernehmungsprotokolle“ von Jürgen Fuchs als Taschenbuch geschenkt. „Denke immer daran“, so hieß damals in dem Bändchen der Serie „rororo aktuell“ seine persönliche Widmung an Künast. An diesem Freitag lobt die Grüne die Hartnäckigkeit Jahns, der 1983 aus der DDR zwangsausgebürgert wurde – und der dann in West-Berlin weiter gegen die SEDDiktatur kämpfte und nach der Wende für die Aufarbeitung des Themas.

Es ist eine im Bundestag verbreitete Begeisterung, Jahn selbst spricht von „persönlicher Genugtuung“ und einem „Supertag für mich“. 92,7 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen sind auf ihn gefallen, es gab 21 Nein-Stimmen und 21 Enthaltungen. Selbst die Linke (sie hat 76 Abgeordnete) hat also zur „komfortablen Mehrheit“ für Jahn beigetragen, die deren Parteivorsitzende Gesine Lötzsch vorausgesagt hatte – selbst wenn sie ihr eigenes Votum bei der geheimen Wahl nicht bekannt gibt. Kultur-Staatsminister Bernd Neumann (CDU), der Jahn dem Kabinett vorgeschlagen hatte, sagt: „Ein besseres Ergebnis kann man fast gar nicht erzielen.“ Jahn sei von allen Fraktionen unterstützt worden.

Der aus Jena stammende Jahn hat im Westen als Fernsehjournalist gearbeitet. Er sehe sich als „Anwalt der Opfer“, sagt er, wolle aber eine „differenzierte Aufarbeitung“. Untersucht werden müsse, warum die Diktatur DDR so lange bestehen konnte, warum das „System der Angst“ so gut funktioniert habe und warum sich „hochintelligente Menschen so anpassen konnten“. Je besser man dies verstehe, umso besser lasse sich die Demokratie heute gestalten. Es sei wichtig, dass Menschen ein Bekenntnis zu ihrer Biografie ablegen, hier gebe es „noch viel Nachholebedarf“. Bürgerrechtler wie Lutz Rathenow begleiten Jahn an diesem Tag. Der letzte DDR-Außenminister Markus Meckel sitzt mit ihm auf der Besuchertribüne, ganz vorn neben Jahn seine Amtsvorgänger Birthler und Joachim Gauck sowie die Lebensgefährtin Anett Volkland. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD), der das Abstimmungsergebnis verkündet, ist überzeugt, dass Jahn das „wichtige Amt“ mit Vernunft und Augenmaß ausüben werde. Ronald Lässig von der Vereinigung der Opfer des Stalinismus kommt mit Blumen.

Vor der Wahl hat Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU) Birthler gewürdigt. Die Behörde brauche wie vielleicht keine andere sonst „einen Kopf, der dem Thema in der Öffentlichkeit zu der Aufmerksamkeit verhilft, die es verdient“, sagt er. Dies sei Birthler im vergangenen Jahrzehnt „hervorragend gelungen“. Fast alle Abgeordneten stehen auf und applaudieren – nur die der Linken nicht. Sie nehmen Birthler übel, dass die ihre Partei immer wieder mit Stasi-Verstrickung in Verbindung gebracht hat, teils mit falschen Fakten. Die Linken-Kulturpolitikerin Luc Jochimsen sagt, sie erwarte von Jahn die Differenzierung, die Birthler nicht geleistet habe. Jahn wiederum betont, auf die Linke „als SED-Nachfolgepartei“ komme eine „besondere Herausforderung“ bei der Aufarbeitung zu: „Sie kann die Karten am besten auf den Tisch legen.“

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