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Gilbert

© Katharina Eglau

Gazastreifen: Doktor Gilberts Krieg

Um einen im Gazastreifen arbeitenden westlichen Arzt ist eine Propagandaschlacht entbrannt – ist er ein Terrorsympathisant?

Das Stethoskop hängt um seinen Hals. An seinem grünen Chirurgenkittel kleben noch zwei Streifen Heftpflaster, als der norwegische Arzt Mads Gilbert am späten Samstagnachmittag in einem palästinensischen Krankenwagen an der Grenze in Rafah ankommt. Erst hilft er mit, die am Kopf schwer verletzte junge Frau, die er begleitet hat, in den wartenden ägyptischen Rettungswagen umzubetten, dann bestürmen ihn die Journalisten. Seit Neujahr arbeiteten Gilbert und sein Kollege Erik Fosse als einzige westliche Chirurgen im Schifa-Hospital in Gazastadt. Da Israel vor gut zwei Monaten für alle ausländischen Medien den Zugang zum Gazastreifen blockierte, sind die beiden Ärzte bislang die einzigen westlichen Augenzeugen des israelischen Bombenkrieges. In Telefoninterviews beschrieben sie Abend für Abend gegenüber Fernsehstationen und Zeitungen die katastrophalen Zustände in dem Krankenhaus und durchkreuzten damit Israels Strategie, diesen Krieg ohne westliche Augenzeugen zu führen. Fosse beschuldigte am Samstag Israel zudem, an der palästinensischen Bevölkerung neuartige Waffen auszuprobieren. Manche Patienten hätten Verletzungen, die er bisher nur aus der Literatur kenne. Diese sogenannten Dime-Bomben (Dense Inert Metal Explosive) seien sehr klein, explodierten mit einer extrem hohen Energie und zerfetzten nur Leute, die sich in unmittelbarer Nähe des Explosionsortes befänden. Tierexperimente hätten jedoch ergeben, dass Partikel solcher Bomben bei Mäusen innerhalb von 46 Monaten Krebs auslösten.

Die Reaktion auf Äußerungen der beiden Ärzte ließ nicht lange auf sich warten – vor allem Gilbert gerät seitdem ins Zwielicht. Fox News, der Hauskanal der republikanischen Rechten in den USA, denunzierte ihn als „Hamas-Doktor“. Die „Welt“ bezeichnet ihn unter Berufung auf die in Jerusalem ansässige israelische Organisation „NGO Monitor“ gar als „linksradikalen Terrorsympathisanten“.

Gilbert ist kein unbeschriebenes Blatt. In Norwegen gilt er als erfahrener Kriegschirurg, ist aber auch für seine radikalen Ansichten bekannt. Er arbeitete in den letzten zwei Jahrzehnten nicht nur in den palästinensischen Gebieten, sondern operierte auch Minenopfer in Birma, Angola, Kambodscha und Kurdistan. 16 Jahre lang saß der Vater zweier erwachsener Töchter als Abgeordneter für die „Rote Liste“ im Kommunalparlament der Stadt Tromso, an deren Universität er als Professor arbeitet. In einem früheren Interview mit der Zeitung „Dagbladet“ zeigte er sich zwar „empört“ über den Terroranschlag vom 11. September 2001 in New York, nannte ihn aber eine legitime Antwort „der Unterdrückten“ auf die Politik der USA. Ob amerikanische oder irakische, afghanische oder palästinensische Zivilisten stürben, das mache keinen Unterschied. Auch an seinen politischen Ansichten zum Nahostkonflikt und dem Krieg im Gazastreifen lässt er keinen Zweifel. „Nichts ist so feige, wie Menschen zu bombardieren, die nirgendwo hin fliehen können“, sagt er. Dass er der Hamas helfe, weist er von sich.

„Sein medizinisches Urteil ist über jeden Zweifel erhaben“, sagt Meret Taksdal von der Hilfsorganisation Norwac, in deren Auftrag Gilbert und Fosse in Gaza waren. „Statt die beiden wegen ihrer politischen Ansichten zu attackieren, sollte man ihre Arbeit für die Verwundeten würdigen. Sie haben ihr Leben riskiert.“ In Ägypten sind die beiden Mediziner nicht willkommen. Eine ganze Nacht ließen die Sicherheitskräfte die Chirurgen im Ankunftsterminal warten. Als nach Mitternacht die israelischen Raketenangriffe so heftig wurden, dass Fenster zu Bruch gingen und Teile der Decke einzustürzen drohten, wurden sie in ein Wachhaus am anderen Ende des Geländes verlegt. Der norwegische Botschafter in Kairo schlief aus Solidarität mit ihnen auf dem Fußboden – erst am Sonntagmorgen, nach 20 Stunden, durften sie einreisen.

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