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Politik: Tschetschenien: Nur "Unregelmäßigkeiten" statt Verbrechen

Südrussland steht noch unter dem Schock des Geiseldramas vom Dienstag: Polizei und Sicherheitsdienst haben die ohnehin rigiden Kontrollen weiter verschärft und zusätzliche Posten auf den Fernverkehrsstraßen, an Staudämmen und Kraftwerken aufgestellt. Experten befürchten weitere Anschläge tschetschenischer Separatisten, die Terror als letztes Mittel einsetzen könnten.

Südrussland steht noch unter dem Schock des Geiseldramas vom Dienstag: Polizei und Sicherheitsdienst haben die ohnehin rigiden Kontrollen weiter verschärft und zusätzliche Posten auf den Fernverkehrsstraßen, an Staudämmen und Kraftwerken aufgestellt. Experten befürchten weitere Anschläge tschetschenischer Separatisten, die Terror als letztes Mittel einsetzen könnten.

Nach 22 Monaten hat die Öffentlichkeit im In- und Ausland Moskaus Krieg im Kaukasus fast verdrängt. Davon scheint auch die russische Führung profitieren zu wollen, die Übergriffe der russischen Soldateska auf Tschetscheniens Zivilbevölkerung kaum noch kommentiert oder kritisiert.

Noch Mitte Juni waren Kriegsflüchtlinge in den Zeltstädten der Nachbarrepublik Inguschetien in einen Hungerstreik gegen die Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien getreten. Fast 230 Menschen beteiligten sich. Zum Abbruch der Aktion ließen sie sich nur überreden, nachdem ihnen gestattet wurde, einen Friedensmarsch nach Moskau zu organisieren, an dem 2000 Menschen teilnehmen wollten.

Zunächst versuchten die Chefs jener russischen Regionen, durch die der Marsch führen sollte, die Teilnehmer mit Warnungen vor antitschetschenischen Ausschreitungen der Bevölkerung von ihrem Vorhaben abzubringen. Vergeblich. Am Dienstag, einen Tag vor dem geplanten Beginn der Aktion, untersagten Beamte des inguschischen Innenministeriums den Marsch mit der Begründung, die Erlaubnis dazu hätte spätestens zehn Tage zuvor schriftlich beantragt werden müssen. Zelte, in denen sich der Stab für die Organisation befand, rissen Ordnungskräfte einfach ein. Mehrere Protestmarschierer wurden festgenommen.

Unmittelbarer Anlass für Hungerstreik und Friedensmarsch waren Übergriffe russischer Soldaten in drei tschetschenischen Dörfern. Moskau bemühte sich anfangs, die Vorgänge herunterzuspielen, musste angesichts der erdrückenden Beweislage Anfang Juli jedoch Ermittlungen einleiten. Putins Generalgouverneur für Südrussland, Viktor Kasanzew, sah sich gezwungen, sich in Tschetschenien zu entschuldigen. Der Oberkommandierende der russischen Truppen, Wladimir Moltenskoj, sprach sogar von "flächendeckenden" Verbrechen und gab die Entlassung zweier Stellvertreter bekannt. Moskau pfiff ihn wenig später zurück und machte auch die Kündigungen rückgängig. Im ersten Zwischenbericht der Ermittler war dann nur noch von "einigen Unregelmäßigkeiten" und materiellen Schäden die Rede.

Moskauer Bürgerrechtler aus der Organisation "Memorial" dagegen fuhren am Dienstagabend im US-Auslandssender Radio Liberty schweres Geschütz auf: Ihnen läge eine Videokassette mit Aufnahmen der "Säuberungen" und Augenzeugenberichten vor. Demzufolge seien mehrere Tschetschenen ermordet worden. Der Älteste war Jahrgang 1914 und hatte im Zweiten Weltkrieg mehrere sowjetische Tapferkeitsmedaillen bekommen, der Jüngste war ein elfjähriger Junge. In mindestens einem Fall, so der Memorial-Aktivist, hätten die Russen einem Gefangenen ein Hakenkreuz in die Haut geschnitten und gedroht, mit allen Tschetschenen so zu verfahren, wie die Nazis mit den Juden.

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