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© dpa

Hessen: Zocken vor der letzten Hürde

Hessens SPD will die geplante rot-grüne Koalition – Parteivize Jürgen Walter lehnt aber den Vertrag dazu ab, obwohl er ihn selbst mit ausgehandelt hat.

Fast alle der 350 Parteitagsdelegierten der hessischen SPD feierten Andrea Ypsilanti nach ihrem Plädoyer für den rot-grünen Koalitionsvertrag im Stehen, minutenlang. Nur einer auf dem Podium blieb mit versteinerter Miene sitzen: SPD-Parteivize Jürgen Walter. Er verweigerte der Vorsitzenden Beifall und Gefolgschaft: Obwohl er den Koalitionsvertrag mit ausgehandelt und ihm im Landesvorstand zugestimmt hatte, votierte er in Fulda vehement gegen das Papier. „Ich habe diesen Koalitionsvertrag nicht unterschrieben, ich werde ihn nicht unterschreiben, und ich werde gegen diesen Koalitionsvertrag stimmen“, sagte der innerparteiliche Rivale der SPD-Landesvorsitzenden. Dazu kam er dann doch nicht mehr: Walter sprach im Foyer mit Reportern und verpasste die Abstimmung.

Bei acht Gegenstimmen und acht Enthaltungen forderten die Delegierten am Schluss mit 95,3 Prozent alle 42 SPD- Landtagsabgeordneten auf, Ypsilanti am Dienstag zur Ministerpräsidentin zu wählen – der Sonderparteitag war die vorletzte Hürde auf dem Weg zum Regierungswechsel. Für die letzte, ihre Wahl durch den Landtag, ist Ypsilanti auch auf die Stimme des Abgeordneten Walter angewiesen. Seine Fraktionskollegin Dagmar Metzger wollte in Fulda wie Walter gegen das Programm stimmen und kündigte erneut an, sie werde Ypsilanti ihre Stimme verweigern. Ob Walter selbst der Parteitagsempfehlung folgt, ließ er am Samstag auf Nachfrage ausdrücklich offen – es sei „für heute alles gesagt“.

Zum Auftakt des Sonderparteitags sagte Ypsilanti in ihrer Rede, Hessen solle wieder zu einem Land der sozialen Gerechtigkeit, der kulturellen Offenheit, der ökologischen und wirtschaftlichen Erneuerung werden. Die Politik der CDU- geführten Landesregierung von Ministerpräsident Roland Koch nannte sie verfehlt; mit gescheitertem und selbstgerechtem Personal sei kein Neuanfang möglich, bekräftigte sie ihre Absage an eine große Koalition. Sie werde an die sozialdemokratische Regierungszeit anknüpfen, als „Hessen vorn“ ein Markenzeichen gewesen sei. Ihr Regierungsprogramm sei nicht, wie die Unternehmerverbände kritisierten, „Gift“ für die Wirtschaft, sondern „Dünger für neue Unternehmen und Märkte“. Es gelte, die Interessen von Unternehmern und Arbeitnehmern neu auszubalancieren. Hessen sei als wirtschaftsstarkes Land in besonderer Weise auf sozialen Ausgleich angewiesen, sagte Ypsilanti. Sie kündigte eine Bundesratsinitiative zur Ausdehnung des Mindestlohnes auch auf die Leiharbeit an. „Wir finden uns nicht mit Armut ab, wir bekämpfen sie“, rief Ypsilanti; eine reiche Gesellschaft könne nicht zulassen, dass sich Kinder in Kindergärten und Schulen kein Mittagessen leisten könnten. Sie rief ihre Partei auf, der hessischen CDU zu einer Denkpause in der Opposition zu verhelfen, und machte sich Mut: „Wer vorangeht, den belohnt das Leben.“

Bis auf Walter und Metzger zogen alle Redner eine positive Bilanz der rot-grünen Koalitionsverhandlungen. Doch mit Walter sorgt ein wichtiger Vertreter der konservativen Netzwerker in der hessischen SPD für Irritationen. Seine Vorwürfe gipfelten in der These, der rot- grüne Koalitionsvertrag schaffe nicht neue, sondern gefährde bestehende Arbeitsplätze. Der Verzicht auf den Sofortvollzug des Ausbaus des Frankfurter Flughafens verzögere das wichtigste Investitionsprojekt in Hessen „auf unbestimmte Zeit“. Und die „politische Gewinnmitnahme“ im Vertrag sei ungleich verteilt: Mit den Ministerien für Umwelt und Bildung hätten die Grünen die Ressorts „mit frischen Ideen und frischem Geld“ errungen.

Ein langjähriger Mitstreiter erinnerte zuversichtlich an Walters frühere Zusage, er werde sich an Parteitagsbeschlüsse halten. „Vielleicht möchte er noch ein bisschen zocken“, sagte er dem Tagesspiegel. Walter hatte verzichtet, als Minister für Verkehr und Europa in Ypsilantis Kabinett einzutreten, und die Trennung der Ressorts für Wirtschaft und Verkehr als „Riesenfehler“ kritisiert. Auch Ypsilanti zählt nach der Probeabstimmung und einem Vier-Augen-Gespräch mit Walter fest auf ihn: Die amerikanische Bevölkerung werde am 4. November mit ihrer Entscheidung für den demokratischen Präsidentschaftsbewerber Barack Obama „Yes we can“ sagen, die Abgeordneten von SPD, Grünen und Linken sollten dann im hessischen Landtag sagen: „Yes we do!“

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