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Brandenburg: Hoffnung für die Erben der Kleinbauern

Nach dem Urteil des Menschenrechtshofes: 30 000 ehemalige Grundstückseigentümer in Brandenburg könnten Entschädigung verlangen / Warten auf Umsetzung in deutsches Recht

Nach dem Urteil des Menschenrechtshofes: 30 000 ehemalige Grundstückseigentümer in Brandenburg könnten Entschädigung verlangen / Warten auf Umsetzung in deutsches Recht Von Claus-Dieter Steyer Frankfurt (Oder). Auf den ohnehin extrem angespannten Landeshaushalt und viele Brandenburger Kommunen könnten neue Ausgaben in Millionenhöhe zukommen. Davon gehen Experten nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Straßburg über die zwangsweise Abtretung von Grundstücken ehemaliger DDR-Bürger an den Staat aus. Nach einer 1992 beschlossenen Regelung mussten sich jene Personen ohne jede Entschädigung von ihren Grundstücken trennen, die Land aus der Bodenreform zwischen 1945 und 1949 nutzten, aber vor 1990 nicht in der Landwirtschaft tätig waren. Viele dieser Flächen wurden in den 90er Jahren vom Staat eingezogen und vom Land oder von den Kommunen an Gewerbebetriebe oder Einkaufszentren verkauft. Geschah der Verkauf schon vor 1992, mussten die alten Eigentümer, die teilweise schon 40 Jahre lang im Grundbuch gestanden hatten, die eingenommene Verkaufssumme zurückzahlen. Gegen dieses Regelung hatten drei Personen geklagt, darunter auch Frau L. aus der Nähe von Frankfurt (Oder). Ihre Eltern hatten wie tausende andere Menschen in der Bodenreform nach dem Krieg ein Stück Land zur Bewirtschaftung erhalten. Das Grundstück durfte nicht veräußert werden. Nach der Wende aber musste sie es an die Kommune abtreten, weil sie 1990 nicht mehr in der Landwirtschaft arbeitete. Die Stadt verpachtete das etwa fünf Hektar große Grundstück an Datschenbesitzer, und die Pachteinnahmen füllten die Stadtkasse. „Mit dem Urteil wird jetzt eine große Ungerechtigkeit behoben“, sagt Rechtsanwalt Thorsten Purps. „Denn der Staat und die Kommunen haben sich bereichert. Nun müsste die alte Eigentümerin entschädigt werden.“ Völlig überrascht vom Straßburger Urteil zeigte sich Finanzministerin Dagmar Ziegler (SPD). „Die Vorschriften zur Abwicklung der Bodenreform haben in der Vergangenheit mehrfach der Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht standgehalten“, sagte sie. „Wir warten jetzt ab, wie der Bund auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes reagiert.“ Deshalb seien genaue Angaben über die Folgen für das Land noch nicht möglich. Nutznießer des Urteils könnten bis zu 70 000 Menschen und Familien in ganz Ostdeutschland sein. In Brandenburg wird ihren Zahl auf 28 000 bis 30 000 geschätzt. Dort wirkte sich die Bodenreform besonders stark aus. Nirgendwo sonst in Ostdeutschland gab es so viele Großgrundbesitzer wie zwischen Rheinsberg und der Lausitz. Jeder Eigentümer, der mehr als 100 Hektar Land besaß, wurde enteignet. Die einfachen Bauern und die vielen Übersiedler aus dem Osten erhielten Grundstücke zwischen drei und sieben Hektar. In den fünfziger Jahren begann die Zwangskollektivierung in LPG. Viele Bauern gaben ihre landwirtschaftliche Arbeit auf, so dass ihre Erben nach 1992 keine Ansprüche mehr auf das alte Eigentum hatten. Der agrarpolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion Dietmar Woidke schließt nun Rückzahlungsforderungen an das Land und an Kommunen in Millionenhöhe nicht aus. „Es muss abgewartet werden, ob aus dem Urteil deutsches Recht wird“, erklärte der Abgeordnete aus der Lausitz. Er begrüße das Urteil, denn von den Enteignung nach der Wende seien zum größten Teil „ganz normale Bürger“ betroffen gewesen. Die Menschen hätten sich auf ihre Eintragung im Grundbuch zu DDR-Zeiten verlassen. „Plötzlich mussten sie für ihre eigenen Grundstücke viele tausend Euro zahlen, um sie zu behalten oder beleihen zu können.“

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