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Homepage: Wie die DDR mit Fremden umging

Auch die deutschen Vertriebenen galten als Fremde / Tagung am Zeithistorischen Zentrum

Auch die deutschen Vertriebenen galten als Fremde / Tagung am Zeithistorischen Zentrum Von Erhart Hohenstein Reservierte, ablehnende oder feindliche Haltungen der DDR-Bevölkerung gegenüber Fremden wurzelten nicht in den Urgründen des deutschen Nationalcharakters, sondern hatte vornehmlich handfeste ökonomische und soziale Ursachen. In ihrer Bilanz der Tagung „Ankunft – Alltag – Ausreise. Zeithistorische Forschungen zu Migration und Interkulturalität in der DDR-Gesellschaft“ nannte Dorothee Wierling, Hamburg, dafür unter anderem Verteilungskämpfe um knappe Konsumgüter. Die Konkurrenten wurden, so in der deutsch-polnischen Grenzregion, aus Nachbarn zu „Fremden“, denen kein Anspruch zustand. Begegnung und Handel, die sich mit dem ab 1972 ermöglichten kleinen Grenzverkehr verstärkten, hätten unter diesen Bedingungen nicht zur Annäherung, sondern zu großen Spannungen geführt, erklärte Jonathan R. Zatlin von der Boston University. Grundlage der Tagung des Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF) Potsdam waren zwei vor kurzem abgeschlossene Forschungsprojekte zu den sowjetischen Besatzern (Christian Th. Müller) und zu politischen Emigranten (Patrice G. Poutrus) in der DDR. Die Anregung zur wissenschaftlichen Beschäftigung mit „Fremden und Fremdsein in der DDR“ war von der brandenburgischen Ausländerbeauftragten Almuth Berger gekommen. Auf der Tagung wurde das Thema auf die deutschen Vertriebenen, fremde Arbeitskräfte und ausländische Studenten ausgeweitet. Mit „O“ Sowjetmensch“ überschrieb Christian Müller seinen Vortrag über „Die Beziehungen von sowjetischen Streitkräften und DDR-Gesellschaft zwischen Ritual und Alltag“. In der begrenzten Zeit konnte er davon nur ein unvollständiges Bild geben. So erwähnte er die bis in die 50er Jahre anhaltenden schweren Übergriffe gegenüber der Zivilbevölkerung kaum. Ausführlich stellte er dagegen Alltagsärger wie etwa in Neu Fahrland durch Panzer immer wieder zerfahrene Straßen oder eine Rangelei mit sowjetischen Offiziersfrauen in einem Kinderkonfektionsgeschäft in Neuruppin dar. Auch polarisierte Müller wohl zu stark. Zwar abgegrenzt in ihren Kasernen, wurden die Soldaten doch nach und nach zu einem von der Bevölkerung hingenommenen Teil des Alltags. Sie wurden nicht einerseits offiziell als Sowjethelden bejubelt, andererseits am Biertisch als „Russen“ beschimpft. Vielmehr hatten sich die ironischen, aber nicht feindseligen Bezeichnungen „Die Freunde“ und in der Armee „Kolja“ eingebürgert, wie Kurt Arlt (MGFA) in seinem Kommentar zum Vortrag ergänzte. Die Ostdeutschen empfanden gegenüber den militärischen Siegern nach Einblick in deren Lebensweise ein Gefühl der kulturellen Überlegenheit. Mit dieser Einstellung blickten sie auch auf die politischen Emigranten, von den 1949/50 ins Land gekommenen griechischen Kommunisten bis zu den nach dem Sturz Allendes 1973 aus ihrer Heimat geflohenen Chilenen, stellte Patrice Poutrus in seinem Vortrag „Bedingt aufnahmebereit“ fest. Zudem entwickelten sie Sozialneid auf die Emigranten, denen knappe Konsumgüter (z.B. am Potsdamer Stern Neubauwohnungen für Chilenen) bevorzugt zur Verfügung gestellt wurden und die in den Westen reisen durften. Ein ähnliches Bild ergab sich bei den ausländischen Studenten (Vortrag von Damian Mac Con Uladh, London). Ohnehin habe die SED-Führung politische Emigranten vornehmlich deshalb aufgenommen, um sie für ihre außenpolitischen und ökonomischen Ziele zu instrumentalisieren. Die dauerhafte Integration in die DDR-Gesellschaft sei weder beabsichtigt gewesen noch gelungen. Dies machte auf der Tagung Dagmara Jajesniak-Quast, Europa-Universität Frankfurt (Oder), auch am Beispiel ausländischer Arbeitskräfte in den DDR-Betrieben deutlich. Die größte Gruppe von „Fremden“ in der DDR seien jedoch Deutsche gewesen, nämlich die 4,5 Millionen (von insgesamt 12 Millionen) nach Ostdeutschland flutenden Vertriebenen, stellte Michael Schwartz (Berlin) fest. In Ost wie West wurden sie nicht solidarisch aufgenommen, sondern als Eindringlinge und als Konkurrenten um die knappen materiellen Ressourcen betrachtet. Ihre Integration gelang erst in einem langen, konfliktreichen Prozess vornehmlich durch staatliche Hilfe. Schwartz erwähnte den im Westen herbeigeführten Lastenausgleich, erstaunlicherweise aber nicht die Bodenreform mit dem Neubauernbauprogramm im Osten, die für einen erheblichen Teil der hier Umsiedler genannten Vertriebenen die materielle Existenz sicherte. Darin lag vielleicht eine Schwäche der Tagung: Fast alle Vortragenden und ihre Kommentatoren haben als Altbundesbürger oder wegen ihres Alters den Alltag im Osten nicht miterlebt. Sie blicken von außen wie in einen Guckkasten und interpretieren die Ausschnitte, die sie sehen, nicht in jedem Fall richtig. Die stärkere Einbeziehung von in der DDR aufgewachsenen Historikern in solche Forschungsprojekte wäre überlegenswert.

Erhart Hohenstein

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