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Kultur: Flügellahme Fledermaus

Johann-Strauß-Operette zum Jahresausklang im Nikolaisaal

Johann-Strauß-Operette zum Jahresausklang im Nikolaisaal Von Peter Buske Es gehört ein gerüttelt Maß an Chuzpe dazu, dem Kronjuwel der klassischen Operette, Johann Straußens „Fledermaus“, den erforderlichen Glamour und Esprit zu versagen. So grenzt es beinahe an Fahrlässigkeit, den unvergleichlichen Musikchampagner de Vienna in einen abgestandenen Bad Lauchstädter Brunnen zu verwandeln. Quellfrisch genossen, sollte dieser doch eigentlich, heißt es, der Gesundheit förderlich sein, Herz und Sinne erfrischen. Die Jahresendabfüllung dessen, was bereits vor fünf Jahren durch das Goethe-Theater Bad Lauchstädt als „Fledermaus“-Salonversion kreiert und auf Reisen geschickt wurde, erreichte nun, wieder aufgewärmt, den Potsdamer Nikolaisaal. Dabei fängt alles so einladend an. Zu Beginn der Wiederaufnahme-Premiere schmettert Rosalindes Gesangslehrer Alfred, alias Martin Mühle, zur Drehorgelbegleitung im Hofgeviert und im Foyer italienische Arien und Canzonen. Der Glanz, Schmelz und die Intonationssicherheit seiner tenoralen Stentorstimme überrascht und begeistert. Auch auf der kahlen „Bühne“, in deren Mitte ein weißer Steinway-Flügel mit einem dreistufigen Podest als Tummelplatz für die Akteure steht, weiß er mit Ausstrahlung zu überzeugen. Er macht die karge, atmosphäretötende Szenerie, deren drei Spielorte durch diesbezügliche Projektionen an die Saalrückwand suggeriert werden, glatt vergessen. Vor seinem hohen B schmilzt nicht nur Rosalinde, sondern auch das Publikum dahin. Anderen Mitspielern gelingt solche Wirkung weit weniger. Auch wenn sie immer wieder durch den Saal eilen und über einen in die ersten Parkettreihen hineinreichenden Laufsteg die Bühne erreichen, bringt das dem mit den herrlichsten Melodien reich gesegneten Stück zwar optische Abwechslung, aber keinen Zugewinn an lustvoll prickelnder, innerer Spannung. Dem vorgezeigten Kammerspiel, einfallslos arrangiert von Musikdramaturgin Dörte Reisener, ist die Spielfläche schlichtweg zu groß. Ziemlich verkrampft müht sich die Personage um spielerische Leichtigkeit, Wiener Charme und Schmäh. Doch wo soll das alles herkommen, wenn die Zutaten dafür fehlen?! Der gelungenste Einfall des Abends: die Pausenaufforderung zum Tanz auf Bühne und im Foyer. Dass das Hohelied der walzerseligen Operettenvergnügungen derart flügellahm unter die Räder gerät, liegt mit an der musikalischen Fassung für Salonorchester. Diese wird von Mitgliedern der Brandenburger Symphoniker unter der Leitung von Gernot Oertel am Flügel (auf dessen Deckel man lottert und lümmelt) vorgestellt. Von drei zirpeligen Geigen angeführt, kann sich aus dem dünnblütigen Klangrinnsal allerdings kaum schwelgerischer Glanz im Dreivierteltakt entwickeln, wodurch auch die Sänger nicht zu Entsprechendem animiert werden. Da es ihnen größtenteils an Ausstrahlung mangelt, muss das Ergebnis ihrer diesbezüglichen Bemühungen mager bleiben. Es ist und bleibt ein Trugschluss, dass der Operette nur mit Opernsängern aufgeholfen werden könne. Ganz im Gegenteil. Das Genre verlangt nach Spezialisten, die das Metier bis in die speziell dafür ausgebildeten Fingerspitzen beherrschen. Und so ist es ein Fehlgriff, den gelangweilten Partygeber, den russischen Prinzen Orlofsky, mit dem (mitunter englisch parlierenden) Countertenor Johnny Maldonado zu besetzen. Was Altus Jochen Kowalski von der Komischen Oper Berlin bis zur New Yorker Metropolitan Opera zur Legende geriet, spreizt sich hier am Rande der Lächerlichkeit. Nichts von Ausstrahlung, von gestalterischer Dekadenz, blasiertem Überdruss und Jähzorn. Was für eine „tolle" Party bei ihm, wenn da nur ein Doppelquartett (coro semiseria) als Ballgäste singen und tanzen (Choreografie: Stefan Lux). Leider kann auch der baritonangenehme Kai-Uwe Fahnert als Dr. Falke, einst genasführt im Kostüm einer Fledermaus und nun sich rächend, die szenische Langeweile nicht vergessen machen. Der soubrettenadretten Andrea Lang als Stubenmädchen Adele strömen die Koloraturen leider nicht locker, liebreizend und geschmeidig genug aus der Kehle. Als „ungarische Gräfin“ überzeugt Tonje Haugland mit der Geste der Primadonna in der Rolle der Rosalinde. Ansonsten knistert bei ihr nur wenig erotisches Flair. Beim Gatten Gabriel von Eisenstein (Daniel Ferlin) stimmt wenigstens der richtige Dialekt, das Singen weit weniger. Es hört sich angestrengt und unsauber an. Gänzlich witzlos poltert Gefängnisdiener Frosch (Till Brinkmann) durch den 3. Akt und den langweilenden, streckenweise unverständlichen Text. Chargieren was das Zeug hält, betreibt auch der bassgewaltige Marek Gasztecki als Kerkerdirektor Frank und Advokat Dr. Blind. „Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist“, singt“s sektlaunig von der Bühne. Das Publikum ist es und feiert das Gezeigte ausgiebig.

Peter Buske

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