zum Hauptinhalt

Kultur: Gern mal ein richtiger Fiesling sein

Daniel Brühl war zu Gast im Filmmuseum und bezauberte durch seine Natürlichkeit

Daniel Brühl war zu Gast im Filmmuseum und bezauberte durch seine Natürlichkeit Von Heidi Jäger Er könnte geradezu die Krätze kriegen, wenn er immer wieder als der liebe Junge von nebenan bezeichnet werde. Doch so sehr sich Daniel Brühl über diese Schublade auch ärgert, sein Auftritt im Filmmuseum steckte ihn nur noch tiefer hinein. Wie ein altbekannter Kumpel plauderte er vor rappelvollem Hause über seine Arbeit und über Dinge, die ihn anstinken, die aber zu seinem Job dazu gehören. Er ist ein Bauchmensch. Ohne lange zu überlegen, schnattert der junge Mann drauf los und scheint dabei auch die Kameras zu vergessen. Natürlich ist er inzwischen mediengewandt, bei seiner steilen Karriere heften sich die Reporter in Scharen an seinen Fersen. Doch das lässt ihn ganz offensichtlich nicht die Bodenhaftung verlieren. Er kam zu diesem Gespräch frisch aus dem Urlaub eingeflogen und fühlte sich noch ein bisschen durch den Wind. Doch artig und mit gewinnendem Grübchenlächeln bedankte er sich für die Einladung anlässlich der Brühl-Reihe in Potsdam. „Es ist eine große Ehre für mich, obwohl ich dachte, so etwas passiert erst später im Leben.“ Ihm passiert es bereits jetzt: 24-jährig und als Abräumer großer Preise. Trotz der verkrampft und unvorbereitet wirkenden Moderatorin des Abends, Silvia Hallensleben, ließ sich Daniel Brühl keineswegs aus der Fassung bringen. Er erinnerte sich an seine ersten Filmambitionen, die ihm väterlicherseits zwar in die Wiege gelegt, aber keineswegs von dort mit befördert wurden. Er sollte etwas Vernünftiges lernen, so der Wunsch vom Regie führenden Herrn Papa. Doch von Kindesbeinen an medieninfiziert, ließ sich Daniel Brühl in seinem Willen nicht erschüttern. Mit 15 Jahren stand er das erste Mal vor der Kamera, „eine Nebenrolle mit fünf, sechs Drehtagen. Eine schöne Erfahrung, die mir die Angst nahm.“ Dann kam der erste SAT 1-Film. „Ich hatte lange Haare und sah ganz furchtbar aus. In diesem Streifen kann ich mich heute auch nicht mehr ertragen.“ Daniel Brühl ist sich selbst gegenüber wohl der strengste Kritiker. „Wenigstens dreimal sehe ich mir meine Filme an, ohne sie überhaupt als Gesamtwerk betrachten zu können. Ich brauche erst mal Zeit, mit mir selbst klar zu kommen.“ Vor allem setze er alles daran, einen Film schon vor der Premiere anschauen zu dürfen, „um nicht erst dort das Kotzen zu kriegen.“ Der Shootingstar nimmt kein Blatt vor den Mund, ungeschminkt verkündet er seine Erfahrungen, und seine vor allem weibliche Fangemeinde dankt“s ihm mit glänzenden Augen. „Der ist wirklich cool“, raunt es durch die Reihen. Und da es offensichtlich auf beiden Seiten keine Berührungsängste gibt, hat das Publikum auch keine Scheu, Fragen zu stellen. Eine Schauspielschule hat Brühl nicht besucht, nach Abitur und Zivildienst sah er sich zwar an verschiedenen Schulen um, konnte sich aber nicht vorstellen, dort drei Jahre auszuharren. „Manchmal denke ich aber schon, es wäre vielleicht gut gewesen.“ Doch gleich hängt er an dieses Vernunftsstatement ein sich selbst auf die Schippe nehmendes „Bla, bla, bla“ ran. Daniel Brühl kann noch über sich selber lachen, auch wenn sich mit dem Erfolg einiges verändert hat. „Noch überwiegt die Freude, aber der Druck steigt. Ich könnte im nächsten Jahr im wahrsten Sinne des Wortes durchdrehen. Aber ich will nicht verheizt werden.“ Er vermisse schon die Narrenfreiheit aus den Anfangsjahren. „,Weißes Rauschen“ war ein Experiment, und ich warf mich mit voller Wucht rein. Heute bin ich vorsichtiger.“ Am liebsten wäre es ihm aber, eine Independent-Produktion im Wechsel mit einem kommerziellen Film zu drehen. Die größte Gefahr sieht er darin, zu sehr auf einen Typen festgelegt zu werden. Und da trifft der intelligente junge Mann wohl des Pudels Kern. „Ich würde gern mal ein richtiges Arschloch spielen, am besten einen Massenmörder.“ Für seinen jüngsten Film habe er sich einen Bart stehen lassen, in der Hoffnung, etwas markanter zu wirken. „Na ja, ob das so gut war?! Man wird sehen“, zweifelt er wohl selbst. Gerne hätte er das Angebot angenommen, in einem Streifen über die letzten Tage im Führerbunker mitzuwirken. „Das hätte schon einen Bruch bedeutet. Aber selbst da wäre ich als der nette Unteroffizier noch der erste Sympathieträger gewesen.“ Ein Filmangebot aus England - das erste im Ausland – machte ihm aber ohnehin einen Strich durch die Rechnung. „Denn natürlich konnte ich nicht die Möglichkeit ausschlagen, an der Seite von Maggie Smith zu spielen.“ In dem im Spätsommer in die englischen Kinos kommenden Streifen „Ladies in Lavendar“ gibt er einen polnischen Musiker. „Das bedeutete, ich musste Englisch mit polnischem Akzent sprechen. Doch damit nicht genug, dazu sollte ich auch noch Geige spielen lernen. Mindestens vier Lehrer trieb ich in den Wahnsinn. Schließlich kam ich auf die Idee, die Saiten mit Seife zu beschmieren. Da hört man nichts mehr und kann sich aufs Playback verlassen.“ Wenn es um Pannen geht, bot allerdings „Good bye Lenin“ noch viel mehr Erzählstoff. „Unser Regisseur Wolfgang Becker mutmaßte schon, er hätte eine schlechte Aura. Es passierte aber auch eine Katastrophe nach der anderen. Erst zerstörten die Wildschweine unsere Außenkulissen, dann lief im Krankenzimmer von Katrin Saß das Quecksilber aus, der Hubschrauber ging kaputt, die Trabis gaben einer nach dem anderen den Geist auf. Und zu guter Letzt stellte sich raus, dass eine Kollegin schwanger war und sie mit gewölbtem Bauch für eine Liebesszene mit mir nicht mehr so recht geeignet war. Obendrein hatten wir ständig ein scheiß“ Wetter.“ Aber: Ende gut, alles gut. Jetzt tourt Daniel Brühl mit „Lenin“ im Gepäck vier Wochen durch Amerika. Sein bislang schwierigster Film sei „Weißes Rauschen“ gewesen. „Ich hatte große Angst, der Rolle eines Schizophrenen nicht gerecht zu werden, denn natürlich ist es nicht möglich, sich als Gesunder in diese Krankheit hineinzuversetzen.“ Ein Freund des Regisseurs, der an Schizophrenie leidet, half ihm bei der Annäherung. „Alle drei gingen wir zehn Tage lang in den Alpen wandern. Ich beobachtete den Freund auf Schritt und Tritt, stellte ihm 1000 Fragen. Er hörte oft Stimmen und erzählte mir davon. Drei Wochen ging ich dann ganz allein mit mir in Klausur, von allem zurückgezogen, auch von der Familie. Ich versuchte, meinen eigenen Wahnsinn rauszukitzeln. Das war beängstigend. Nach dem Film brauchte ich lange, wieder ins richtige Leben zurück zu finden.“ Als nächstes – seinem 12. Film – ist Daniel Brühl in „Die Liebe in Gedanken“ zu sehen, der auf der Berlinale Premiere hat. „Es ist ein sehr schöner Streifen geworden: Eine authentische Geschichte aus den 20er Jahren über einen Selbstmörderklub in Berlin. Im Mittelpunkt steht ein Dichter und ein reicher Boheme, die in symbiotischer Freundschaft verbunden sind. Aus ihrer verklärten Todessehnsucht wird plötzlich ernst. An der Seite von August Diehl bin ich natürlich wieder der Sympathische.“ Sein Lieblingsfilm sei aber „Nichts bereuen“, nicht zuletzt, weil er durch ihn seine Freundin Jessica kennen lernte. „Wir werden oft gefragt, ob wir nicht wieder ein Pärchen spielen würden. Das wollen wir aber keinesfalls. Sollten wir wieder zusammen drehen, dann in komplett anderer Konstellation: vielleicht als Bruder und Schwester oder besser noch als Killer und Opfer, um auch Privates auszuleben. Aber ich rede mich ja hier um Kopf und Kragen“, winkt er spitzbübisch ab – und bleibt beim Gehen als der nette Junge in Erinnerung.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false