zum Hauptinhalt

Kultur: „Nur Luise liebt wirklich“

Gisbert Jäkel inszeniert „Kabale und Liebe“ und verwandelt die Blechbüchse in eine Kammerbühne

Die Blechbüchse hat sich in eine intime Kammerbühne verwandelt. 200 Zuschauer können in dem kaminroten Halbrund Platz nehmen, wenn sich morgen der Vorhang zu Schillers Jugenddrama „Kabale und Liebe“ öffnet. Die Verzauberung des halligen Raums in einen Wohlfühlort ist dem Bühnenbildner und Regisseur Gisbert Jäkel zuzuschreiben, den die Potsdamer bereits bei Tolstois „Krieg und Frieden“ in der Französischen Kirche und bei dem musikalischen Doppelprojekt „Die sieben Todsünden“ und „Combattimento di Tancredi e Clorinda“ im Schlosstheater schätzen lernten. Nun hat der geborene Aachener zum ersten Mal Schiller für sich erobert – und dabei wird es alles andere als gemütlich zugehen. Unter der kuscheligen Wohnzimmerdecke lauern tiefdunkle Abgründe.

„Der Text lädt zu sehr unterschiedlichen Interpretationen ein“, stellte Gisbert Jäkel schnell fest. Die oft herausgehobenen Klassenunterschiede, die der Liebe zwischen dem Adligen Ferdinand und der Musikertochter Luise jede Chance nehmen, waren für ihn kein Thema. Er interessierte sich für den „Absolutismus der Gefühle“. „Es geht um die Beschränkung der Liebe, die in der Selbstliebe begründet liegt. Es gibt in dem Stück nur einen Menschen, der wirklich einen anderen liebt, und das ist Luise. Nicht umsonst hieß das Stück früher wohl auch ,Luise Millerin“.“

Die Einzigartigkeit dieser Figur herauszuarbeiten, faszinierte ihn ebenso, wie den psychologischen Verstrickungen Ferdinands nachzuspüren, der in allen Richtungen eine große Vermessenheit an den Tag lege. „Er liebt mehr die Vorstellung des Mädchens Luise als ihre Realität. Er hat ganz hohe Erwartungen an sie, doch sobald sie ihr eigenes Denken einbringt, kommt es zu Störungen.“

Für Jäkel hat jede einzelne Figur Schillers einen starken Sog, dass es geradezu unheimlich werde. „Man hat das Gefühl, es findet kein Ende, außer in einem schwarzen Loch. Schiller ist ein Verdichter von Seelenzuständen, die psychologisch genau belegbar sind.“

Die zu DDR-Zeiten im Deutschunterricht gern besonders herausgearbeitete Szene mit den nach Amerika verkauften 7000 Landeskindern fällt bei Gisbert Jäkel indes unter den Tisch. „Es geht mir in der Inszenierung nicht um politische Verwerflichkeiten aus jener Zeit: Ich glaube, dass diese Kammerdienerszene Schiller vor allem auch als Folie diente, um Lady Milford genauer zu zeichnen. Als sie die Brillanten zur Hochzeit ablehnte, weil daran das Blut der Soldaten zu kleben schien, wollte sie sich „autosuggestiv“ zum besseren Menschen machen, so Jäkels Interpretation. Das Stück liefere auch ohne diese Szene Möglichkeiten, die Lady zu zeichnen. Lady Milford habe es fast geschafft, Ferdinand für sich zu gewinnen, als sie ihm über ihre schlimmen Kindheitserfahrungen erzählte. „Sie bringt ihn auch durch ihre leisen sexuellen ,Versprechen“ fast weg von Luise. Lady Milford zeigt ihm Lebensalternativen, die äußerst verlockend sind. Und diese soll Luise nun für Ferdinand erfüllen. Auch eine seiner Vermessenheiten.“

Gisbert Jäkel ließ sich voll und ganz auf diesen Klassiker ein: „Bei einem so sorgfältigen und tiefgründigen Autor muss man geradezu konservativ werden. Was da an Sprachlichkeit und gedanklicher Tiefe vorliegt, ist es wert, zu bewahren.“ Und so gab es auch kaum weitere Streichungen. „Man muss man sich genau in die Zeit hinein versetzen, schon um die tiefe Religiosität der Luise zu begreifen.“

Beim Lesen stelle man sich Schillers Sprache aus der „Sturm und Drang“-Zeit schnell übertrieben vor. „Aber das muss nicht sein. Bei den Proben erhielt sie einen zunehmend natürlichen Charakter: Das hat mich schon verblüfft.“ Ohnehin lehnt Gisbert Jäkel eine übertriebene Theatralik für seine Inszenierungen ab. „Große pathetische Mittel, die nichts bewirken, sind überflüssig.“ Mit dem Schauspieler Klaus Manchen, der lange Zeit zu den Protagonisten am Berliner Maxim-Gorki-Theater zählte und der jetzt in der Rolle des Präsidenten zu sehen ist, habe er sich seine Wunschbesetzung erfüllt. „Er spielt sehr real, nie tönend.“ Auch von den jungen Leuten, wie Adina Vetter als Luise und Moritz Führmann als Ferdinand, zeigt er sich begeistert. Sie waren mit ein Grund für ihn, das Stück zu inszenieren. „Ich habe mit ihnen schon bei ,Krieg und Frieden“ gearbeitet, und dachte mir, dass sie jetzt genau in dem Alter sind, um dieses Paar zu spielen.“

Jäkels Bühnenbild führt die Schauspieler ganz dicht ans Publikum heran, so dass jede Geste zur Wirkung kommt. „Diese Nähe braucht aber auch eine unheimliche schauspielerische Kompetenz.“

Der erfahrene Bühnenbildner, der am Wiener Burgtheater und Akademietheater ebenso wie am Deutschen Theater und an der Deutschen Staatsoper Inszenierungen ausstattete, lieferte 1998 mit „Rigoletto“ am Grazer Opernhaus seine erste Regiearbeit ab. Er mag diese Zweigleisigkeit, seine Inszenierungen auch selbst bildnerisch zu gestalten: „So kann man die Räume, in denen das Theater stattfindet, bis zum Schluss beeinflussen.“ Fünf Jahre hat er an der Schaubühne Berlin gearbeitet, „ein Theater, das auffordert, alles neu zu definieren.“ Auch diese Spielstätte am Lehniner Platz sei eine Art Mehrzweckhalle wie die Blechbüchse. Das Potsdamer Theaterhaus habe aber den großen Vorteil, dass man den Zuschauerraum gleich mit entwerfen kann. „Es ist erstaunlich, was dieses kleine Hans Otto Theater für diese Inszenierung technisch geleistet hat. Ich wurde hier nicht schlechter bedient als an der Schaubühne.“

Einziges Manko der Blechbüchse, man müsse die Stimmen schon etwas anheben. Und auch den Verkehrslärm habe er unterschätzt. „Inzwischen akzeptieren wir ihn als Teil der Aufführung: Er holt die Gegenwart in unsere vergangene Welt hinein.“ Eine Welt, in der das Leben der Millers und von Walters aufeinander prallt und sich vermischt.

Gisbert Jäkel könnte es sich angesichts des großen psychologischen Konfliktpotenzials gut vorstellen, durchaus noch zwei Wochen intensiv an seinen Kabalen weiter zu arbeiten. „Es gibt schon noch ein paar Sachen, wo man zittert. Aber ich denke, es wird aufgehen.“ Die äußerliche Ruhe, die er vermittelt, sei eher eine optische Täuschung. „Das ist das einzige, was ich in der Schule gelernt habe“, meint er schmunzelnd.

Premiere morgen 19.30 Uhr, Theaterhaus am Alten Markt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false