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Kultur: Seelenbad und kollektive Vergewaltigung

Zwiespältiger Eindruck beim Sinfoniekonzert der Kammerakademie Potsdam

Zwiespältiger Eindruck beim Sinfoniekonzert der Kammerakademie Potsdam „Ehre das Alte hoch, bringe aber auch dem Neuen ein warmes Herz entgegen“, ermuntert Robert Schumann in seinen „Musikalischen Haus- und Lebensregeln“ Neugierige und Junggebliebene. „Gegen dir unbekannte Namen hege kein Vorurteil“. Daran hält sich auch die Kammerakademie Potsdam unter Leitung des griechischen Gastdirigenten Constantinos Carydis beim 5. Sinfoniekonzert im Nikolaisaal, indem sie mit zwei Stücken des estnischen Komponisten Erkki-Sven Tüür (geb. 1959) einen avantgardistischen Tonsetzer an den Beginn ihres ansonsten klassisch geprägten Konzertabends setzt. Doch so neutönerisch, wie von vielen vielleicht befürchtet, hören sich „Passion“ und „Illusion“ für Streichorchester überhaupt nicht an. Im Programmheft lesen sich Tüürs Bekenntnisse zu seinen kompositorischen Prinzipien wesentlich komplizierter an als dann in natura zu hören ist. Wo vom „Verhältnis zwischen geistiger und emotionaler Energie sowie um die Möglichkeit, diese zu lenken, zu konzentrieren, zu liquidieren und wieder sich ansammeln zu lassen“ die schriftliche Rede geht, kann im tönend bewegten Ergebnis die Seele schlichtweg baden. Die Satzbezeichnungen geben die Stimmungslage vor. In „Passion“ entstehen den Kontrabässen und Celli klangdunkle Flächen, die in epischer Breite fließen und allmählich einen imaginären Klangraum horizontal ausfüllen. Tatsächlich, das funktioniert! Ähnlich der Eindruck für die vertikale Ebene, als allmählich die hohen Streicher ins Spiel kommen und die Tonleiter empor klettern. Barocke Satztechnik ist heraushörbar. Fast unmerklich entsteht ein Liniengeflecht, das den Hörer umgarnt und fesselt. Die Intensität steigert sich. Es wird lauter, schneller und greller. Abrupt bricht die Entwicklung ab, fällt in sich zusammen und endet in der großen Ruhe des Anfangs. In „Illusion“ sorgt eine erregte Figur für synkopierte, unaufhörliche Bewegung. Keine Illusion ist''s, wie präzise und klangsinnlich die Kammerakademie aufspielt. Bei Beethoven ist dann Schluss mit lustig. Seiner 1. Sinfonie C-Dur op. 21 wird eine effekthascherische Ausdeutung zuteil, die einer Vergewaltigung gleichkommt. Dem stark von Joseph Haydn beeinflussten Werk ist jeglicher Charme, jedwede graziöse Eleganz gründlich ausgetrieben. Geradezu rabiat wird Temperament herbeigezwungen. Straff artikuliert, kurz phrasiert und paukenhämmernd - so also soll Beethovenscher Scherzo-Humor klingen? Dass es eine ungewöhnliche Ausdeutung werden würde, kündigte sich schon in der überbreit genommenen langsamen Einleitung des ersten Satzes an, dem ein spannungsarmer Übergang in das Allegro con brio folgt, den man sich raffinierter hätte vorstellen können als geboten. Auch in den anderen Sätzen schnurrt alles wie am Schnürchen ab - funkeln tut es leider nicht. Auch im Klavierkonzert Nr. 2 B-Dur op. 19 ist (frappierende) Durchhörbarkeit angesagt, Perfektion erstrebt, brillanter Klang anvisiert und achtsam mit Details umgegangen. Fast scheint dem „Pianistenfutter“ die gleiche korsettgepresste Behandlung zu widerfahren wie der Sinfonie. Im ersten Satz hat sich der Solist Denys Proshajew zu teilweise hartem, wenig differenzierendem Anschlag überreden lassen. Viel zu selten befreit er sich aus den Fesseln eines Prokrustesbettes, auf das ihn der Dirigent zu zwingen trachtet. Doch in den lyrischen Episoden und der Kadenz des ersten, dem tiefempfundenen Adagiosingen des zweiten Satzes ist der Pianist ganz bei sich. Und bei Ludwig van Beethoven. Da gibt er dem Meister was des Meisters ist: Gefühl, langen Atem zum Ausschwingen Nun auch wird der Anschlag weich und geschmeidig. Spritzig und wirbelig, aber nicht verbissen tollt das Rondo vorüber. Endlich ist alles im richtigen Lot. Der Beifall brandet heftig.Peter Buske

Peter Buske

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