zum Hauptinhalt

Premiere in der Reithalle: Von der Schönheit der Zerstörungswut

Am Freitag hatte „Die Kunst des negativen Denkens“ in der Reithalle Premiere.

Mit einer kleinen Dosis negativen Denkens kokettieren ja viele gern – dazu muss man nur mal montags einen Blick in die sozialen Medien werfen. Da beginnt die Woche zu früh, kommt der Bus zu spät und dann sind auch noch Kaffee und Stimmung im Büro schlecht. Das aber sind eher Spielereien mit der Tretmühle des Arbeitsalltags, aus der die meisten von uns nicht wirklich ausbrechen wollen. Das Gemecker dient lediglich als kleine Flucht vor der eigenen ständigen Selbstoptimierung. Letztlich hilft es, sich trotz aller Belastungen, aller Unfreiheit in der kapitalistischen Arbeitswelt am Laufen zu halten.

Echte Negativität, also eine Ablehnung der Verhältnisse an sich, ist dagegen unerwünscht. Jemand, der so tickt, endet entweder einsam oder in der Therapie. Bei Menschen, die einen wieder gangbar machen für das soziale und berufliche Leben.

So einer ist Florian, die Hauptfigur in Bård Breiens Komödie „Die Kunst des negativen Denkens“, die, inszeniert von Fabian Gerhardt, an diesem Freitag in der Reithalle Premiere hat. Florian hat eigentlich alles: ein Haus zum Wohnen, ein Quäntchen Machismo und vor allem eine schöne Frau, die ihn von Herzen liebt. Genau das aber kann Florian nicht länger akzeptieren, denn: Er sitzt seit einem Unfall im Rollstuhl. Seine Haltung: „Ich mag keine Frauen, die auf Krüppel stehen.“ Das lässt sich als Versuch, sich und die eigene Würde zu schützen, mit den Demütigungen der eigenen Hilfebedürftigkeit umzugehen, natürlich gut verstehen. Klar ist aber auch, dass so keine Beziehung auf Dauer funktionieren kann.

Alles ändert sich, als eine Selbsthilfegruppe für Behinderte sich Florians Haus für ihre turnusmäßigen Treffen aussucht. Deren Leiterin, eine penetrant gut gelaunte Therapeutin, verfügt über ein ganzes Arsenal an Feelgood-Phrasen, welche die Verzweifelten über sich ergehen lassen, in der Hoffnung, zurück ins Leben – respektive: zurück in die Funktionalität – zu finden. Wer trotzdem noch Schlechtes fühlt oder denkt, bekommt von der Therapeutin eine „Abkotz-Tüte“, in die all das Böse entleert werden muss.

So viel Heuchelei, so viel positives Denken im eigenen Haus, das ist für Florian, gespielt von Florian Schmidtke, natürliche eine Kriegserklärung. Es beginnt ein erbitterter Kampf zwischen positiver Autosuggestion und vermeintlich wahrhaftigem Nihilismus. Nach aller von Hollywood geprägter Erfahrung ließe sich natürlich erwarten, dass das Gute am Ende immer siegt – aber was ist das eigentlich, das gute Leben? Florians schwarze Wut macht zunächst mal deutlich: Es gibt Schmerzen, die lassen sich nicht einfach durch guten Willen wegdenken. Sie zeigt aber auch, welche schöpferische Kraft im Zerstörungswillen steckt. Manchmal muss erst Chaos herrschen, müssen die Dinge erst zertrümmert werden, bevor sie sich – dann für immer – verändern. Breiens Text, der 2010 auch verfilmt wurde, ist ein Lob der Unversöhnlichkeit – und bietet bei aller Negativität doch ein überraschendes Ende. Insofern ist es vielleicht gut, dass „Die Kunst des negativen Denkens“ am Freitag und nicht zu Beginn der Woche Premiere hat. Zeit für die Zuschauer, sich übers Wochenende wieder auf Normal-Wut zu bringen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false