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Potsdam-Mittelmark: „Gott will mit uns leben“

Pfarrer Ulrich Heilmann wird am Sonnabend 80 Jahre alt / Die Lust am freien Predigen ist ihm erhalten geblieben

Pfarrer Ulrich Heilmann wird am Sonnabend 80 Jahre alt / Die Lust am freien Predigen ist ihm erhalten geblieben Von Henry Klix Schwielowsee-Caputh. So kennen die Caputher Pfarrer Heilmann: Ohne Manuskript, nur die Bibel unter dem Arm, kommt er zu seinen Gottesdiensten. Die Predigt dauert nicht unter 20 Minuten, hat einen Anfang und ein festes Ende, und Heilmann hält dabei stets Blickkontakt zu seiner Gemeinde. Er will sehen, wie das Gesagte ankommt. „Gott legt uns eine Last auf, aber er hilft uns auch“, zitierte er spontan in seiner Predigt nach dem Mauerbau im August 1961 aus den Psalmen. „Die Hauptsache ist, dass die Hauptsache die Hauptsache bleibt“, rief er einmal bei einem Evangelischen Landesjugendtag vor 3000 jungen Christen aus. Pfarrer Heilmann will eine „Message“, rüberbringen, wie er mit einer „neumodischen Vokabel“ sagt. „Gott ist kein toter Götze, Er will mit uns leben.“ Am vorigen Sonntag dankte Ulrich Heilmann im Gottesdienst für die Jahre, die ihm geschenkt wurden. Etwas vorab, weil er schon in Geburtstagslaune war: Der letzte Ferientag wurde genutzt, um mit der 30-köpfigen Familie, Frau, Kindern, Schwiegerkindern und Enkeln, im Kavalierhaus zu feiern. Aber eigentlich ist der Pfarrer i.R. erst am 10. Januar 1924 geboren, in Berlin. Trotz hauptstädtischer Geburt darf der Respekt einflößende und zugleich humorvolle Mann heute wohl als Caputher Urgestein bezeichnet werden. Sein Bekanntheitsgrad ist groß. 32 Jahre lang, bis 1988, verrichtete er seinen Dienst als Caputher Pfarrer für die konstant etwa 1000 Kirchengemeindeglieder – und ist darüber hinaus und bis heute ein seelsorgerischer Fixpunkt des örtlichen Lebens geblieben. Theologisch sei er ein „Konservativer“, sagt Heilmann. „Wir müssen über Gott reden“ ist einer seiner Leitsätze. Sein Studium absolvierte er nach dem Krieg in Berlin und Göttingen – viele seiner Dozenten waren zur Nazizeit Mitglieder der Bekennenden Kirche, die sich offen gegen Hitler gewandt hatte. Auch Heilmann hatte mit dem Dritten Reich nichts am Hut. Als Hitler am 30. Januar 1933 in die Reichskanzlei einzog, habe seine Mutter den ganzen Tag geweint. Mit neun Jahren habe er gewusst, dass in Konzentrationslagern Menschen zu Tode gequält werden. Fortan lebte er in der Angst, dass seinen antinationalsozialistisch eingestellten Eltern dasselbe Schicksal droht, wenn er sich den Mund verbrennt. Bis 1938 war er der einzige Junge seiner Klasse, der nicht in der Hitlerjugend war, dann wurde die Zwangsmitgliedschaft eingeführt. „Für mich war das alles ein Urerlebnis: Du lebst in einem Land, wo die überwältigende Mehrheit so töricht ist, Hitler zu wählen.“ An der Ostfront habe er drei Jahre lang gebetet, „dass wir verlieren“. Das sei nicht immer leicht gefallen, besonders in den letzten Kriegstagen nicht, als er im Kugelhagel um sein Leben bangen musste und seine Kameraden wie die Fliegen starben. „Ich hatte große Erwartungen an das, was danach kommen wird.“ Doch als Adenauer 1949 Bundeskanzler wurde und die alten Nazikader ihre Pöstchen zurück bekamen, sei es eine bittere Enttäuschung für ihn gewesen. Die andere Seite empfand Heilmann „als das kleinere Übel“, Gleichheit war ihm wichtiger als Freiheit, auch wenn er den Stalinismus verabscheute. Doch als Chruschtschow „den vierten Kopf“ abschlug – Stalin verschwand aus den Propagandabildern mit Marx, Engels und Lenin – sei ihm aufgegangen, dass „viele Genossen ihre Ideologie ernst nahmen“. Politisch macht Heilmann keinen Hehl aus seiner linken Gesinnung, auch wenn er mit dem Herzen immer bei Gott gewesen wäre. „Gott liebt die Armen und Schwachen mehr als die Reichen.“ Dass er in der Gemeinde als „der rote Heilmann“ bekannt ist, erwähnt er aus eigenem Antrieb. Er steht zu seiner Geschichte, auch in der DDR. Wenngleich seine Frömmigkeit über jeden Zweifel erhaben war und ist, wegen seiner politischen Positionen war der Caputher Pfarrer kirchenintern nicht unumstritten – auch in seinen Posten in der Synode und der Kirchenleitung Berlin-Brandenburg sowie der Bundessynode. Anders als viele seiner Kollegen setzte er auf gepflegten Dialog , habe er versucht, die Kommunisten zu verstehen, mit ihnen auszukommen, statt zum Opfer zu werden. „Wenn ich für Gott werbe, werbe ich nicht für den Westen“, sei eines seiner Argumente in schwierigen Debatten mit starrköpfigen SED-Kadern gewesen. Ihm sei es darum gegangen, unter allen Umständen eines zu erhalten: Die Möglichkeit, dass junge Menschen Christen werden können und ihre frisch erworbenen Glaubensgrundsätze nicht der Staatsdoktrin zum Opfer fallen. Heilmann übte sich auch ganz praktisch darin. Als einmal eine Geltower Klassenbeste nicht zum Abitur zugelassen werden sollte, sei er zum Sekretariat für Kirchenfragen des Bezirks Potsdam gegangen. „Ich kann es nicht beweisen. Aber es könnte der Eindruck entstehen, dass nur so entschieden wurde, weil das Mädchen in der Kirchengemeinde ist“, habe er gesagt. Das Mädchen bekam ihren Abiplatz. „Wenn andere Pfarrer doch auch hingegangen wären“, überlegt er heute. Die Nachwuchspflege hat Heilmann ohnedies stets am Herzen gelegen. Da konnte es schon passieren, dass er einem Mitglied der jungen Gemeinde ein Aufsatzgerüst über „Klassenkampf in Schillers ,Kabale und Liebe““ schrieb oder vom Fußballspielen völlig verschmaddert den Auftrag für eine Beerdigung entgegen nehmen musste. Von den Segeltouren, die er 25 Jahre lang mit ca. 25 Jugendlichen und bis zu 8 Booten von Caputh nach Strodehne unternahm, kommt der Pfarrer heute noch ins Schwärmen. „Da haben wir uns erinnert, dass uns der liebe Gott die Havel vor die Tür gesetzt hat.“ Wenn bei 30 Grad schwitzende FDJler im Marinekutter entgegen gerudert kamen, während man selbst bei voller Fahrt die Beine im Wasser baumeln ließ, „gab es mitten in der DDR ein herrliches Gefühl von Freiheit“. Die Wende hat Heilmann „nicht ohne Sorge über das Kommende“ verfolgt, DDR-nostalgisch geworden ist er nicht. Beim ersten Runden Tisch in Caputh übernahm er 1989 die Versammlungsleitung und sorgte in seiner Zeit als Vorsitzender der Gemeindevertretung mit dafür, dass im Ort bis heute ein überwiegend von Sachlichkeit geprägtes, kommunalpolitsches Klima herrscht. Die Schiedsrichterrolle habe ihm gelegen – keine Tore schießen, sondern für Fairness sorgen. „Und ich wusste ja auch aus den Kirchengremien, wie Demokratie funktioniert.“ Nach drei Jahren war sein kommunalpolitisches Zwischenspiel beendet. Heilmann setzte wie so oft seine Prioritäten: Als sein Nachfolger Pfr. Kiertscher schwer an Krebs erkrankte, war es für ihn selbstverständlich, trotz Ruhestands wieder der Kirchengemeinde zur Verfügung zu stehen. Auch im Glückwünsch des Gemeindekirchenrats zum 80. stehen noch herzliche Dankesworte dafür. Heilmann hat seine Rolle als Pfarrer immer geliebt. Der Jubilar macht kein Geheimnis aus seinem Sendungsbewusstsein. „Mein Leben dreht sich um die Freude am Herrn“, sagt er. Wenn ihn Gott mit Auftrag nach Caputh geschickt habe, dann habe das auch was zu bedeuten. Obwohl es mit Pfarrer Hans-Georg Baaske bereits den zweiten Nachfolger gibt, predigt Pfarrer Heilmann auch heute noch in seiner geliebten Stülerkirche, deren Sanierung in den 80er Jahren auf seine Kappe geht. Seine Energie und seine Lust an der „frohen Botschaft“ – sie mögen ihm noch lange erhalten bleiben!

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