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Potsdam-Mittelmark: Mühle, Bäcker und Destillen

Die Gilde der Stadtführer gibt außergewöhnliche Einblicke in die Höfe der Inselstadt Werder

Die Gilde der Stadtführer gibt außergewöhnliche Einblicke in die Höfe der Inselstadt Werder Von Gerold Paul Werder · Es muss nicht immer Nizza sein. Ausflügler und Abenteurer können auch „dichte bie“ allerhand Südländisches erleben, auf der (1317 erstmals erwähnten) Insel Werder etwa, eigentlich eine Tautologie, denn „Werder“ und „Insel“ meinen dasselbe. Sie mit rechten Augen sehen zu lernen, ist die vor einem Jahr gegründete „Gilde der Stadtführer“ angetreten, denn ohne Hilfe blind wandelt der Mensch auf Erden, er sieht das Schöne vor sich nicht. Am Sonntag war nun die erste Führung, im allerschönsten Dauergusse, mithin die Entdeckung eines Regentages, dort, wo einst der alte Fontane schon gewandert. Er stellte den Insulanern – Obstbauern, Handwerker, Fischer – ein wohlgewogenes Zeugnis aus, fromm und treu, wenig gebildet, aber fleißig, ob zahlreich vergebener Brennrechte stark dem Alkohole zugetan und allem Fremden fremd. Gildefrau Jutta Enke führte, vom Dümichenplatz an der Föhse-Brücke beginnend, ein Dutzend Unverdrossener am Havelufer entlang, wo alte Linden und neugepflanzte Pappeln die sanfte Promenade säumen, in Richtung Mühle. Ihr Spezialgebiet sind die Innenhöfe dieses Werders, und wenn es unter „Ureinwohnern“ und Zugezogenen auch als abgesprochen gilt, Toren und Pforten einen Durchblick zum Kiebitzen zu belassen, so tritt man doch, wo immer auch, wie in ein kleines Paradies, des“ Türen allen offen stehen, die ihre 12 Euro Wegezehr der Führung und Verkostung (Säfte, Liköre, Marmeladen) bezahlten. Zum Beispiel „andermühle“, wo Petra Schmieder in ihrem prachtvoll restaurierten Haus, klein aber fein, ein Lädchen für Accessoires und Schnankelchen führt. Zuvor besuchte man zwei andere Höfe, meist von Architekten hergerichtet und bewohnt, darunter eine alte Nagelschmiede. Die lindenreiche Insel ist wohl ein Dorado dieser Zunft. Überhaupt kann das neugebaute Alte nur erachten, wer die Insel vor der „Wende“ kennt, wo kaum ein Bau in gutem Zustand war. Heute läuft man, über noch immer „schwer begehbares Pflaster“, durch saubere Gässchen, vor vielen Häusern stehen Kübelpflanzen, Oleander, Geranie, Engelstrompete, alles hübsch wie dort, am Mittelländischen Meere, bei Nizza. Der Verfall ist nicht besiegt, aber die schmucken Häuser sind wohl in der Überzahl inzwischen. Vorbei an Rückbau oder verputztem Fachgewerk, führte Jutta Enke mit Freude und mit Sachverstand die Unverdrossenen zum Rathaus mit barockem Giebel, wo sich einst Gericht und Inselknast die Hände reichten, zeigte des Malers Kameke“s Lieblingsplätze, Karl Hagemeister“s Haus, die neugotische Heiliggeist-Kirche, in deren Schatten das Café Michaelis steht, Interieur im Wiener Stil, einst Bäckerei, jetzt richtet es ein neuer Eigentümer her. Hier gab“s Likör. Bald passierte man das „Colonial-Café“ mit Kindl-Werbung in der Michaelisstraße, um dann einen Blick in den äußerst mediterranen Garten der Familie Kreuzburg zu werfen, jenseits der Bäckerei, deren sechs es noch nach 1945 auf dem Werder (nur 460 mal 900 Meter groß) gab; die Beerbaumsche exportierte Baumkuchen exklusiv bis nach Übersee. Fontane sagte diesem besonderen Menschenschlage nach, er werde oft steinalt. Ist der Hof von Eckards auch klein, so mit Kübeln und Töpfen besonders grün, hier stellte ein findiger Werderaner einst zwei Badewannen auf, die erste Wasch-Anstalt vor Ort. Nachdem man den „Insel-Friseur“ passierte, erreichte man nahe dem Markt ein erdbeerfarbene Anwesen, in dessen Flurdurchfahrt das Schild „Destillation zum Goldenen Anker“ prangt, an den hohen Innenmauern sind viele Nistkästen angebracht, originell. So hatte jede Station ihre liebevolle Ausgestaltung. Der spannende Spaziergang endete nach genau drei Stunden – die Güsse hatten aufgehört – am Markt, wo eine Galerie des Dutzends wartete und ein Café zum Kuchen einlud, alles inklusive. Ach, Nizza! Näheres zu weiteren Stadtführungen unter Telefon (03327) 45085.

Gerold Paul

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