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Wirtschaft: Über die Zukunt von Post und Bahn, feindliche Übernahmen und die Rolle des Staates in einer globalen Welt (Interview)

Werner Müller (54) ist seit Oktober 1998 Bundeswirtschaftsminister. Er gehört keiner Partei an.

Werner Müller (54) ist seit Oktober 1998 Bundeswirtschaftsminister. Er gehört keiner Partei an. Nach dem Sprachwissenschaftsstudium in Bremen war Müller Hochschullehrer in Ludwigshafen und Mannheim. Bevor er Politiker wurde, war Müller zuerst beim Energieversorger RWE in Essen und später bei der Veba tätig - In den achtziger Jahren als Generalbevollmächtigter, später als Vorstand der Veba Kraftwerke Ruhr AG, verantwortlich für Energieeinkauf und Entsorgung.

Herr Müller, die Unternehmen fusionieren über Ländergrenzen hinweg, die Menschen surfen global im Internet. Verliert der Nationalstaat seine Macht?

Der Staat gestaltet gesellschaftliche Rahmenbedingungen für das Zusammenleben in der Gesellschaft. Mit der Globalisierung verschwinden solche Aufgaben nicht.

Aber sie verändern sich. Welche Chance zur Rahmensetzung wird denn ein Wirtschaftsminister eines einzelnen Landes haben?

Gerade bei den Unternehmensfusionen der jüngsten Vergangenheit kann man sehen, dass es fast immer auch um Standortentscheidungen geht. Wir müssen die wirtschafts- und finanzpolitischen Rahmendaten so gestalten, dass die Firmensitze in Deutschland bleiben oder nach Deutschland kommen. Das bleibt auch in einer globalisierten Welt eine nationale Aufgabe.

In dem Maße, wie Kapital mobiler wird, kann es rascher den Standort wechseln. Werden sich die Nationen einen Wettkampf um die Investoren liefern, der die Standards nach unten drückt?

Diese Gefahr besteht. Wir kommen zu den Grundaufgaben erfolgreicher Wirtschaftspolitik zurück. Wir müssen uns darauf konzentrieren, einen vernünftigen Rahmen zu setzen, der auf der einen Seite so attraktiv für Unternehmen ist, dass sie auch in Zeiten sehr mobilen Kapitals zu uns kommen. Und andererseits muss es auch möglich bleiben, die gesellschaftlichen Aufgaben zu erfüllen. In Europa sind wir uns sehr wohl bewusst, dass es um die Setzung von Mindeststandards, etwa bei Steuern, Sozialem oder bei der Umwelt geht. Ich glaube auch weiterhin an das Bestehen von Nationalstaaten mit ganz unterschiedlichen Infrastrukturbedingungen. Deutschland ist bestimmt für Investoren keines der preiswertesten Länder. Aber wir bieten dafür auch eine sehr gute Infrastruktur. Unternehmen wissen diese Bilanz sehr genau zu bewerten.

Sieht man sich die Investitionsquote an, dann scheint sich ihre Botschaft noch nicht sehr weit herum gesprochen zu haben.

Ich gebe zu, dass wir da viel nachzuholen haben. Aber: Wenn wir die Steurreform zum Gesetz gemacht haben, dann wird sich die Investitionsquote deutlich verbessern. Von der deutschen Industrie ist schon jetzt zu hören, dass der Standort Deutschland attraktiver geworden ist.

Wird der Kanzler beim nächsten Übernahmeversuch eines Ausländers genau so unterkühlt reagieren wie bei Vodafone?

Das hatte nichts mit ausländischen Investments zu tun. Diese sind in Deutschland sehr erwünscht. Es ging um die Problematik einer feindliche Übernahme.

Warum braucht man dafür gleich wieder ein neues Gesetz?

Wir sind in Europa das einzige Land ohne jede gesetzliche Übernahmeregel. Im Zusammenhang mit der Vereinheitlichung des Rechtsrahmens in Europa holen wir jetzt nur eine Regelung nach, die wir ohnehin vollziehen müssten. Wir passen europäisches Recht an. Im Gegensatz zu anderen Ländern haben wir die Mitbestimmung zu beachten. Das sollte auch Auswirkungen auf das Übernahmegesetz habwen. Mitarbeiter des Zielunternehmens sollten Informationsrechte erhalten und das übernehmende Unternehmen entsprechende Pfilichen.

Ein Übernahmegesetz mit Mitbestimmungspflicht wird ausländische Unternehmen nicht gerade nach Deutschland locken.

Wieso muss es von Nachteil sein, die Mitarbeiter zu informieren. Meine Erfahrung mit ausländischen Investoren besagt, dass sie das Prinzip der Mitbestimmung als überaus positiv empfinden, wenn sie dies praktisch erleben. Eine Gesellschaft, die konsensual organisiert ist, wächst stabiler.

Wenn die Unternehmen dieses Prinzip ohnehin schätzen, dann muss man kein Gesetz darüber machen.

Wenn man etwas Vernünftiges gesetzlich regelt, dann stört es keinen. Aber man schließt aus, dass es Unvernünftiges geben kann.

Die Liberalisierung und Privatisierung von Telekommunikation und Strom haben die Welt verändert. Wird der Prozess bei Bahn und Post genau so dramatisch verlaufen?

Ich denke, das Tempo der Veränderung ist ganz vernünftig. Die Post ist schon jetzt im Wettbewerb aufgestellt. Nur bei Briefen unter 200 Gramm hat sie noch das Monopol. Dafür muss sie 12 000 zum Teil sehr unrentable Postfilialen für die Dauer des Monopols aufrecht erhalten. Eine Wettbewerbspost würde bestimmt viele der Filialen nicht geöffnet halten.

Andere würden die Filialen vielleicht wieder öffnen.

Das spielt keine Rolle. Wir müssen sicher stellen, dass für eine Übergangszeit auch kleine Gemeinden Poststellen haben. Und wir müssen der Post Zeit geben, die Mitarbeiterzahl sozial verträglich so zu gestalten, dass eine im Wettbewerb stehende Post nicht einseitig benachteiligt ist.

Wann fällt das Briefmonopol?

Ich habe aus den Erfahrungen im Strommarkt gelernt, dass es nicht länger angehen kann, dass wir in Deutschland ganze Märkte liberalisieren und uns von Staatsbeteiligungen trennen, und dann kommen andere Europäer mit dort staatlich garantierten Monopolgewinnen und kaufen unsere Unternehmen auf. Deshalb werde ich die endgültige Liberalisierung des deutschen Postmarktes ausschließlich im europäischen Maßstab machen.

Der ursprünglich angepeilte Termin im Jahr 2002 kann noch kippen?

Wenn 2002 die EU den Schritt der Liberalisierung nicht in toto macht, werde ich sehr zögerlich.

Wird das Briefmonopol dann verlängert?

Das wäre dann die Folge.

Ein Ende des Monopols bedeutet auch ein Ende einheitlicher Preise für Briefe. Auf dem Land wird es teurer werden. Dürfen Sie den Rentnern auf dem Land zumuten, von der Briefzustellung für 1,10 Mark abgeschnitten zu sein?

Der Wettbewerb mag zu kostengerechter Portodifferenzierung führen. Im Übrigen werden die Bürger, auch die Renter,faxen und mailen.

Ist es heute nicht mehr Aufgabe des Staates, für eine flächendeckende Infrastruktur zu sorgen?

Wenn es in einer Marktwirtschaft Leute gibt, die eine Leistung haben wollen, findet sich immer jemand, der sie auch anbietet. Ich bin ganz zuversichtlich, dass sich sehr schnell ein Markt entwickeln wird. Aber man wird sich daran gewöhnen müssen, dass der Brief nicht überall das Gleiche kostet. Auch Briefeschreiben wird dann vielleicht in den großen Abwägungskorb der Menschen bei der Wahl ihres Wohnortes einfließen. Aber wir wissen noch gar nicht definitiv, ob das Porto teurer wird. Vielleicht schafft es der Markt, den Preis der Landpost günstig zu halten.

Noch einmal: Wo, wenn nicht bei Post und Bahn, muss der Staat die Menschen vor Unwägbarkeiten des Marktes schützen?

Wenn die Gesellschaft einen schlankeren und billigeren Staat und sinkende Steuern haben will, dann kann der Staat sein bisheriges Angebot nicht in der gesamten Breite aufrecht erhalten. Dann müssen wir uns konzentrieren und nicht selten von lieb gewordenen Gewohnheiten trennen. Es kann nicht Hauptaufgabe des Staates sein, Brief- und Bahnleistungen flächendeckend zu Lasten aller Steuerzahler aufrecht zu erhalten. Das läßt sich privatwirtschaftlich organisieren. Der Übergang ist sicher schwierig. Aber wie beim Strom und der Telekommunikation werden wir auch bei Bahn und Post staunen, was in den Unternehmen steckt, wenn sie sich dem Wettbewerb stellen müssen. Das Interview führten Antje Sirleschtov und Rainer Hank

Herr Müller[die Unternehmen fusionieren &uum]

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