zum Hauptinhalt

Berlin: Es muss immer Kaviar sein

Beim Zarenball im Hotel Adlon blieben die Russen nicht mehr unter sich – Frank Zander kam auch

Draußen steht die königlich preußische Garde-Artillerie des Schützenvereins „Adlershofer Füchse“ mit zwölf selbst gebauten Kanonen und 26 Kanonieren. Drinnen säumen die Ehefrauen der Kanoniere die Gänge des Hotels Adlon, sie tragen selbst genähte Kostüme und begrüßen die Vorbeiziehenden mit Knicks. In ihrer Freizeit stellen sie berühmte Schlachten aus der Zeit der Befreiungskriege nach, zum Beispiel Leipzig 1813, und jetzt schmücken sie den Zarenball. Denn der steht diesmal unter dem Motto „Alexander I. – einer der ersten Europäer“. Zur Erinnerung: Zar Alexander I. verbündete sich mit dem preußischen Generalfeldmarschall Blücher; gemeinsam besiegten sie 1814 Napoleon und nahmen Paris ein.

Im Adlon nimmt man am Samstagabend auch einiges ein, 600 Flaschen Champagner etwa, 21 Kilogramm Keta-Kaviar, dazu Wodka, Piroggen, aber auch nicht-russische Kost wie Kohlrouladen und Crème Brulée. Es ist der vierte Zarenball und der erste im Ostteil der Stadt; in den Jahren zuvor ging das Fest, bei dem zugleich das russische Neujahr gefeiert wird, im Interconti übers Parkett.

„Wo ist denn hier der Ball?“, fragten sich einige. Das Adlon hat nämlich keinen Ballsaal, sondern nur einen Raum, der so heißt, und der ist komplett mit Teppich ausgelegt. Er ist zu klein für die angeblich 700 Gäste, und so verläuft sich die Gesellschaft auf zwei Ebenen. Oben wie unten ist jeweils eine etwa 30 Quadratmeter große Tanzfläche provisorisch auf den Teppich gelegt worden; am anderen Ende des unteren Saals thronen Techniker erhöht wie das Zentralkomitee der KPdSU. Die Mini-Tanzflächen bleiben stundenlang leer, nach dem Walzer kommt Popmusik. Freies Flanieren zwischen den Ebenen ist nur Inhabern der 500-Euro-Karten gestattet. Russische Sicherheitsleute wachen streng darüber, und mit denen möchte man sich ja auch nicht anlegen. „Hier ist eine Zwei-Klassen-Gesellschaft“, sagt ein freundlicher junger Mann mit osteuropäischem Akzent. Der Presseball in der Linden-Oper kürzlich sei schöner gewesen.

Eine Berlinerin sagt: „Alex hat erzählt, dass es immer weniger Russen werden, und das glaube ich auch.“ Der Künstler Alex Kozulin hatte den Ball im Jahr 2000 ins Leben gerufen. „Beim ersten Zarenball war ich richtig erschrocken“, sagt die Dame. „Nur Russen!“ Sie hätten ihren Reichtum mit Unmengen von Klunkern zur Schau getragen, und sie habe gedacht – nun flüstert sie – „Mafia!“. Eine exemplarische Stimme dieser Art, nicht die einzige. Immerhin kommt jetzt auch Prominenz: Udo Walz, Ariane Sommer, Frank Zander, Rolf Eden, Mitglieder der Häuser Hohenzollern, Sachsen und Preußen. Mit dem Erlös sollen russische Kinder mit Musikbegabung unterstützt werden.

Gegen 23 Uhr tritt das Fest in eine Art Zeitschleife. Eine Sonderausgabe der „B.Z.“ erscheint mit einer Menge Ballbilder. Da ist also die Wirklichkeit, dazu das in dem Blatt produzierte Bild der Wirklichkeit und dann noch die Wahrnehmung von Bild und Wirklichkeit durch den Ballbesucher – interessantes Spiel mit drei Ebenen. Während es in der Zeitung aussieht, als habe sich die Prominenz schwungvoll auf einem rauschenden Fest amüsiert, fühlt sich die erlebte Umgebung – also dasselbe Fest – eher an wie ein Stehempfang mit geschäftsmäßiger Atmosphäre. Die zitierte Dame vermutet ohnehin, hier komme man nicht zum Tanzen her, sondern um Geschäfte anzubahnen. Hinter dem Flügel im Foyer des Ballsaals sitzen zwei Teppichhändler. Sie haben das Instrument mit ihrer Ware verhängt und warten auf Kundschaft.

Fatina Keilani

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false