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Medien: Das Fernsehen der Anderen

Medienforscher: Mit einem glaubwürdigeren TV-Programm wäre die DDR vielleicht nicht untergegangen

Es gab eine Szene im DDR-Fernsehkrimi „Polizeiruf 110“, da hatten die Redakteure nicht aufgepasst. Vielleicht wollten sie auch nicht aufpassen. Sie ließen den Schauspieler mit einer Black&Decker-Bohrmaschine ein Loch in die Wand bohren. Heute würde das niemanden aufregen. Doch damals gingen hunderte von Postkarten bei der Redaktion ein. „Wo gibt es diese Bohrmaschine zu kaufen?“, wollten alle Zuschauer wissen. Nirgendwo. Die Bohrmaschine war ein Westprodukt und in der DDR nicht erhältlich. Reinhold Viehhoff ist diese Anekdote im Gedächtnis geblieben. Für ihn zeigt sie, was dem DDR-Fernsehen fehlte: Glaubwürdigkeit.

Sechs Jahre lang haben er und 60 weitere Forscher sich mit der Programmgeschichte des DDR-Fernsehens beschäftigt. In Berlin stellten sie jetzt die Ergebnisse des Projektes der Deutschen Forschungsgemeinschaft vor.

Ihre zentrale Erkenntnis: Mit einem anderen Fernsehprogramm wäre die DDR womöglich nicht zusammengebrochen, zumindest nicht 1989. Der SED-Führung sei es weder im eigenen Land noch in den Rundfunkprogrammen gelungen, einen „arbeiterlichen Gegenentwurf“ zur Bundesrepublik hervorzubringen, sagte Viehoff, Professor am Institut für Medien und Kommunikation an der Martin-Luther-Universität Halle und Sprecher des Forschungsprojektes. Da 80 Prozent der Bürger Westfernsehen empfingen, konnten sie permanent sowohl die Attraktivität der Systeme als auch die Attraktivität des Fernsehens vergleichen. Die SED- Führung setzte bei der Programmgestaltung dagegen auf ein anderes Ziel: die nicht-revolutionäre, stillgestellte Gemeinschaft der Zuschauer. Schön reden, schön senden, was real nicht schön war.

Für die Erfüllung dieses Planziels wurde intensiv gelenkt. Mich hat überrascht, in welcher absurden Weise Einfluss genommen wurde“, sagte Viehoff. Von der Besetzung einzelner Rollen bis hin zur Platzierung einzelner Formate. Wehren konnten sich Redakteure und Journalisten dagegen nicht. Es sei denn, sie wollten ihren Job riskieren.

Allerdings habe die DDR-Führung viel zu simpel gedacht. Sie sei von einer „Kanonen-Theorie“ ausgegangen: Jeder Schuss ein Treffer. Zunächst auf einem, ab 1968 dann auch auf einem zweiten Kanal versuchten die Verantwortlichen, das Fernsehen als Propagandamittel zu benutzen. Doch neben den technischen Schwierigkeiten musste sie den schwierigen Spagat zwischen Erziehungsauftrag und Unterhaltungsanspruch bewältigen. Schließlich kann Fernsehen erst wirken, wenn auch Menschen zuschauen. Das ist der DDR-Führung nur teilweise gelungen. Vor allem bei den Informations- und Nachrichtensendungen wie der „Aktuelle Kamera“ scheiterte sie mit ihrer Strategie. Die Zuschauer waren über das Westfernsehen eher und besser informiert und vertrauten den DDR-Nachrichten kaum. Zuletzt schaltete weniger als ein Prozent der DDR-Bürger die „Aktuelle Kamera“ ein. Erfolgreicher liefen dagegen die Unterhaltungsformate.

Nachdem sich Erich Honecker 1971 über eine „bestimmte“ Langeweile im DDR-Fernsehen beklagte hatte, nahmen Shows wie „Ein Kessel Buntes“ und Krimis wie der „Polizeiruf 110“ immer mehr Platz ein und erzielten hohe Einschaltquoten. „Hier sahen die Menschen ihre eigene Lebenswirklichkeit wiedergespiegelt und identifizierten sich deshalb mit den Inhalten“, sagte Viehoff. Zumindest so lange, bis keine Black&Decker-Bohrmaschine auftauchte. Der „Polizeiruf“ hat die Wende als einziges Format überlebt – zusammen mit dem „Sandmännchen“.

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