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Ruppige Methoden: Polizist Russo (Matteo Martari, Mitte) und Inspektorin Ferro (Miriam Leone) verhören einen Verdächtigen.

© Marco Piovanotto/Arte

"Die Toten von Turin": Italo-Krimi ohne Mafia-Hintergrund

Die Fortsetzung der Arte-Serie „Die Toten von Turin“ entwickelt mit ihrer unterkühlten Stimmung eine hypnotische Intensität.

Oberinspektorin Valeria Ferro verhört einen Verdächtigen. Beim Sprechen ist vor ihrem Mund der Eisatem zu sehen. Eine Arte-Serie erzählt von einer jungen Kriminalistin, die scheinbar in Skandinavien ermittelt. Ihre Einsatzorte sind aber Turin und das nördliche Italien, das man so noch nicht gesehen hat.

Schneebedeckte Reisfelder in der Poebene und die weißen Gipfel der Alpen im Hintergrund lassen den Zuschauer frösteln. Sepiafarbene Bilder, aus denen nichts Grelles hervorsticht, verstärken diese morbide Stimmung. Für ein Reiseprospekt eignen sich die betont unscheinbaren Bilder der norditalienischen Metropole nicht. Zu Beginn der dritten Staffel von „Die Toten von Turin“ ist allerdings schon eine Menge passiert. Man muss aber die vorangegangenen 24 Episoden nicht unbedingt gesehen haben. Wie jede interessante Serie bewegt sich die Geschichte vorwärts und rückwärts zugleich. So wird die Oberinspektorin in der neuen Staffel von ihrer Vergangenheit eingeholt, die dabei teilweise rekapituliert wird. Die überraschende Ermordung ihrer Mutter, die 17 Jahre im Gefängnis war, weil sie ihren Mann umbrachte, stürzt die Polizistin in eine Krise. Sie lässt sich gehen, nimmt Tabletten, hat dunkle Augenringe und ist demonstrativ ungeschminkt.

Als Ermittlerin im schmucklosen Parka versteckt Miriam Leone vor der Kamera alles, was einst ihre Karriere beförderte. 2008 wurde die grazile Frau mit dem Gesicht einer Madonna zur Miss Italia gewählt. Ihren Durchbruch erzielte sie als Darstellerin in „1992“, einer Serie, die als italienische Version von „House of Cards“ gilt. Als Oberinspektorin Valeria Ferro verkörpert sie nun in „Non Ucidere“, so der Originaltitel, der so viel bedeutet wie „Du sollst nicht töten“, eine labile Ermittlerin mit analytischem Verstand. Sie erschließt Zusammenhänge, die ihren Kollegen verborgen bleiben.

Denken ohne Falten auf der Stirn

Böse Zungen sagen, sie könne denken, ohne dass ihre Stirn Falten bekommt. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Eine gute Figur macht Miriam Leone nicht nur wegen ihres Äußeren, sondern weil die Mischung stimmt. „Die Toten von Turin“ ist ein Italo-Krimi ohne Mafia-Hintergrund. Auch erzählerisch werden dabei interessante Wege eingeschlagen. Serienschöpfer Claudio Corbucci, Neffe des berühmten Sergio Corbucci, erklärte im Interview, er habe es satt gehabt, dass in Krimis Figuren auftauchen, die allein den durchschaubaren Zweck erfüllen, eine für die Handlung relevante Information zu vermitteln. Um mit diesem Klischee zu brechen, hat Corbucci in jeder der zwölf neuen Episoden zwei bis drei solcher Randfiguren ins Zentrum gerückt. Dabei wurden aber nicht nur Stichwortgeber zum Leben erweckt und ihre vertrackten Motive tiefenscharf ausgeleuchtet. Es fällt angenehm auf, dass die jeweiligen Fälle auf weibliche Charaktere und deren Motive zugeschnitten sind: Ist Shibari, eine japanische Kunst des erotischen Bondage, mit Schwangerschaft vereinbar?

Die Geschichten sind hier und da etwas dick aufgetragen, überzeugen aber, weil in jeder Folge interessante neue Figuren auftauchen. So geht es in der ersten Episode um Frauen, die in einem Frauenhaus Zuflucht suchen, wider besseres Wissen aber immer wieder zu ihren gewalttätigen Ehemännern zurückkehren. Welche unheilvolle Faszination geht von solchen prügelnden Ur-Machos aus? Diese irrationale Anziehung macht „Die Toten von Turin“ körperlich spürbar – ohne dass physische Gewalt direkt gezeigt würde. Die auf den ersten Blick unspektakulär anmutende Serie entwickelt dank ihrer unterkühlten Stimmung nach und nach eine hypnotische Intensität.

„Die Toten von Turin“, zwölf Teile in Doppelfolgen, ab Freitag um 20 Uhr 15 auf Arte

Manfred Riepe

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