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Flugreisen: Auf die billige Tour

Früher war Fliegen der Innbegriff von Luxus. Es gab Getränke an den Sitz, heiße Tücher und freundliches Boardpersonal. Wie die Niedrigpreis-Fluglinien seit dem Jahr 2000 das Reisen verändert haben.

Von Patricia Wolf

Schuhe kaufen wir in Mailand, zum Popkonzert jetten wir in die britische Hauptstadt, in den Herbstferien wird eine Woche auf Ibiza entspannt. Und diejenigen, denen ein Jetlag nicht zusetzt, düsen zum Weihnachtsshoppen für ein Wochenende nach New York – seit der Dollar so gut steht, hat man das Ticket ja fix wieder raus. Ach ja, und wie hieß die Hauptstadt von Lettland noch? Riga, richtig. Um auch mal etwas Neues kennenzulernen, bietet sich doch ein Kurztrip an – für rund 150 Euro kommen wir dorthin, ein Bruchteil dessen, was der Flug vor zehn Jahren kostete. Wir können jederzeit und überall hin. Und das zu erschwinglichen Preisen.

Das war nicht immer so. Genau genommen ist dieses neue Lebensgefühl, die Demokratisierung des Reisens, eine Errungenschaft der nuller Jahre. Einher geht es mit einer neuen Regel, die eine bewährte Regel außer Kraft setzte. Nicht mehr die Nachfrage erzeugt das Angebot, sondern umgekehrt. Verführt von Verheißungen wie der von HLX mit ihrem berühmt gewordenen Werbeslogan „Fliegen zum Taxipreis“, Berlin–Venedig für 19,90 Euro ist Fliegen nun auch für die unteren Stände bezahlbar, die ihren Freiheitsdrang bisher nur auf der Autobahn ausleben durften. 2006 unternahm fast jeder dritte Deutsche eine Flugreise, seit Beginn des Jahrtausends hat sich die Zahl der Fluggäste fast verdoppelt. An diesem Zuwachs haben die Billigflieger ganz erheblichen Anteil. Denn mehr als jeder fünfte Flug wird hierzulande bei einem solchen gebucht. Der Trend hat die Gesellschaft verändert. Und Opfer gibt es auch: Der Tramper ist auf der Strecke geblieben, das klassische Reisebüro in Zeiten der Internetbuchung ebenso wie die Mitfahrzentrale.

Überhaupt erst möglich wurde diese Entwicklung durch die Liberalisierung des europäischen Flugverkehrs 1997: die Erlaubnis zum Take-off für die Billigflieger. Bis dato war der Markt streng reguliert. Doch zu Beginn des neuen Jahrtausends drängten neue Fluglinien mit neuen Angeboten auf den Markt, in ihrem Windschatten senkten auch die etablierten Gesellschaften ihre Preise teilweise drastisch – und das Fliegen entwickelte sich zu einem bezahlbaren Gut.

Bis dahin war es stets umgeben von einer Aura des Besonderen. Luxus, Weltläufigkeit, Modernität, Eleganz – das alles vereinigte sich in der feschen Uniform des Flugkapitäns. Doch in dem Maße, in dem sich unser Lebensgefühl veränderte, wandelte sich auch dessen Ansehen. Der Pilot hat wie die Stewardess den besonderen Nimbus verloren – der Flugkapitän ist mittlerweile nur noch ein mittelmäßig bezahlter Angestellter, und die Stewardess gilt eher als Kellnerin mit Höhenzuschlag.

Anfang des neuen Jahrtausends eröffneten Linien wie Airberlin, HLX oder Ryanair neue Strecken zu bisher nie da gewesenen Preisen. Kurze Zeit später kamen Anbieter wie Buzz, Jet, Intersky, Gexx und andere dazu. 2005 tummelten sich die Maschinen von mehr als 50 Linien am Himmel. Schon damals prophezeiten Experten eine Konsolidierung für den europäischen Markt und sagten voraus, dass lediglich zwei bis fünf Anbieter überleben würden. Buzz etwa hat es nicht geschafft, sondern ist von Ryanair übernommen worden. Der 1985 gegründete irische Anbieter kaufte die zur niederländischen KLM gehörende Linie 2003. Und erinnert sich noch jemand an den Textilunternehmer Hans-Rudolph Wöhrl, der im selben Jahr die DBA von British Airways übernahm und später Interesse am Flughafen Tempelhof bekundete? Geschafft hat es Easyjet, nach Ryanair der europaweit zweitgrößte Billigflieger. Der britische Anbieter rollte erstmalig im Mai 2004 von einer deutschen Startbahn, Berlin-Schönefeld – und brachte damit den deutschen Markt ordentlich in Turbulenzen. Mittlerweile hat Easyjet ein eigenes Terminal im Flughafen Schönefeld. Dieser Flughafen verzeichnete ein erstaunliches Wachstum: Die Zahl der Passagiere stieg von knapp 1,7 Millionen 2003 auf 6,3 Millionen im Jahr 2007. Das hatte auch mit der Öffnung nach Osteuropa zu tun. So nahmen etliche der Gesellschaften Ziele wie Krakau, Bratislava oder Tallinn in ihre Streckenpläne auf, zu Preisen, die zuvor wegen der geringen Nachfrage beim Zehnfachen lagen. Und so lernten die Neckermänner eben osteuropäische Städte kennen.

Das finden nicht alle gut. Denn dass die ganze Fliegerei ökologischer Irrsinn ist, ist unbestritten. Doch die Fluggesellschaften erleichtern zu gerne unser schlechtes Klimagewissen – gegen Gebühr selbstverständlich. So kann man sich für den Flug Berlin–Paris mit rund drei Euro freikaufen. Diese Summe wird wiederum von der Fluggesellschaft in Aufforstungsprojekte in Entwicklungsländern investiert.

Überhaupt – die Extras. No Frills nennen die Anbieter das Konzept – kein Schnickschnack. Der reine Flug ist zwar nicht selten kostenlos – aber alles andere nicht. So bezahlt man dafür, dass man bezahlen darf – meistens wird beim Buchen übers Internet eine Kreditkartengebühr fällig. Dazu kommen Steuern und Flughafengebühren. Wer Gepäck jenseits des zugelassenen Handgepäcks – also alles, was die Größe einer durchschnittlichen Damenhandtasche überschreitet – mit sich schleppt, zahlt ebenfalls. Und „Speedy Boarding“? Ist der Vorteil, dass man sich nicht mit 100 anderen Gästen um einen Platz in den vorderen Reihen streiten muss. Kostet aber auch. Ist man an Bord und hat Durst vom langen Warten auf den verspäteten Flug, werden wieder ein paar Euro für einen Becher Kaffee fällig.

Oft gleicht ein Flug einem Besuch auf dem Jahrmarkt. Kaum hat man den Sicherheitsgurt geschlossen, wird man aufgefordert, ein Rubbellos zu erwerben: Längst hat sich der Geschmack von Freiheit und Abenteuer verflüchtigt in den pappigen Pesto-Bagels, die an Bord für rund drei Euro zu haben sind. Und Ryanair und Co. werden nicht müde, neue Ideen zu ersinnen – wie den Aufschlag für Dicke oder eine Toilettengebühr. Beides hat sich (noch) nicht durchgesetzt. Noch freuen wir uns, dass wir sitzen dürfen – auch wenn selbst zierliche Personen kaum ihre Beine ausstrecken können, weil die Sitze so eng beieinander sind. Schließlich dachte eine chinesische Linie kürzlich darüber nach, Stehplätze in den Maschinen anzubieten.

2008 nahm zwar die weltweite Wirtschaftskrise ihren Lauf – allerdings berührte sie nicht die Billig-Airlines, die sogar davon profitieren konnten, dass die Reisenden stärker aufs Budget achteten als zuvor. Die Billiglinien konnten vor allem aus der neuen Sparsamkeit von Firmen Kapital schlagen, die ihre Angestellten anwiesen, bei Geschäftsreisen auf die günstigeren Fluglinien umzusteigen.

Doch nach der Arbeit wird gefeiert. Und mit den Billigfliegern bildete sich eine spezifische Untergruppe von Touristen: der Easyjetset. Ein Begriff, den der Journalist Tobias Rapp in seinem Buch „Lost and Sound“ prägte: Er beschreibt, wie sich Berlin zum Epizentrum einer europaweiten Technoszene entwickelte. Und Easyjet war nicht ganz unschuldig daran. Denn seit die Aldi-Airline im Mai 2004 in der Hauptstadt ein Drehkreuz eröffnete, verdoppelte sich der Anteil der britischen Touristen 2004 auf mehr als 200 000 Gäste. Natürlich wird nicht gezählt, wie viele der Billigflieger zum Ausgehen nach Berlin kommen. Doch rund 10 000 Billigfluggäste an einem durchschnittlichen Wochenende werden vor allem die zahlreichen Clubs, die neuen Kathedralen der Stadt, besuchen wollen. Spätestens Montagmorgen trifft man sie im Flieger, mit großer Sonnenbrille im Gesicht, auf dem Weg zurück in die Heimat.

Und während die einen ihr Glück in den Wochenenden suchen, freuen sich andere auf ihren Jahresurlaub. Doch der – drei Wochen Bayern, Mallorca oder Gran Canaria mit der ganzen Familie – wird zunehmend zum Auslaufmodell. Lieber fährt man öfter mal kürzer weg. Den Billigfliegern sei Dank. Reisen war immer schon ein Glücksversprechen – und das kann man sich immer häufiger gönnen.

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