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Annalena Baerbock besucht ein bei einem Raketenangriff zerstörtes Kraftwerk. Hier mit dem Energieminister der Ukraine, Herman Halushschenko.

© imago/photothek/IMAGO/Thomas Trutschel

Auf Solidaritätsbesuch in Kiew: Baerbock wirft Putin gezielten Terror gegen Zivilbevölkerung vor

Russland verstärkt mit einer Offensive auf Charkiw den Druck. Putin lässt zugleich die Infrastruktur angreifen. Die deutsche Außenministerin will ein Signal senden – und wird ausgezeichnet.

Außenministerin Annalena Baerbock hat dem russischen Präsidenten Wladimir Putin gezielten Terror gegen die Infrastruktur und die Zivilbevölkerung in der Ukraine vorgeworfen. „Dass nach diesem Winter dieser Terror auf die Infrastruktur weitergeht, zeigt, dass der russische Präsident das Land zerstören will, hier das Leben der Menschen zerstören will“, sagte die Grünen-Politikerin am Dienstag beim Besuch eines der größten Kraftwerke der Ukraine.

Die Bundesaußenministerin hatte sich in dem bei einem russischen Raketenangriff zerstörten Kraftwerk vom ukrainischen Energieminister Herman Haluschtschenko über die angespannte Energieversorgung informieren lassen.

Haluschtschenko sagte, Russland habe insgesamt 11 Raketen abgefeuert. Davon seien nur 6 von der ukrainischen Luftabwehr abgeschossen worden, weil keine Raketen mehr zur Verfügung gestanden hätten.

Dass nach diesem Winter dieser Terror auf die Infrastruktur weitergeht, zeigt, dass der russische Präsident das Land zerstören will, hier das Leben der Menschen zerstören will.

Annalena Baerbock, Außenministerin

Angesichts dessen, dass in der Ukraine nicht genügend Luftabwehr bereitstehe, appelliere sie „an internationale Partner weltweit, dass wir mehr Luftabwehr brauchen, um nicht nur Großstädte zu schützen, sondern gerade auch die Infrastruktur“, sagte Baerbock. Selbst in den warmen Frühlingstagen müsse die Stromversorgung in der Ukraine reduziert werden, weil die zentralen Kohlekraftwerke durch gezielte Attacken getroffen worden seien. „Um die Ukraine vor dem russischen Raketen- und Drohnenhagel zu schützen, braucht sie dringend mehr Luftabwehr“, forderte die Grünen-Politikerin am Dienstag zum Auftakt ihres siebten Solidaritätsbesuches in der Ukraine seit Beginn des russischen Angriffskrieges im Februar 2022.

Baerbock sagt Besuch in Charkiw aus Sicherheitsgründen ab

Auf die Frage, was es persönlich für sie bedeute, die Zerstörung zu sehen, antwortete die Bundesaußenministerin: „Solche Orte schmerzen“, da man die „gezielte strategische Absicht der russischen Kriegsführung sieht, ganz gezielt zivile Infrastruktur zu zerstören“. Das normale, friedliche Leben der ganz normalen Menschen in der Ukraine „kann nicht normal weitergehen, selbst wenn mal kein Luftalarm ist, weil die Lebensadern wie die Stromversorgung so gezielt angegriffen werden“.

Die Ukraine ist aus einem Mangel an Waffen, Munition und Soldaten seit Monaten in der Defensive. Die Millionenstadt Charkiw im Nordosten des Landes wird von Russland über die Grenze hinweg aus kurzer Entfernung bombardiert. Baerbock musste einen eigentlich am Dienstag geplanten Besuch in Charkiw wegen der russischen Angriffe aus Sicherheitsgründen absagen. Sie hatte die zu Beginn des Kriegs von russischen Truppen heftig angegriffene Stadt schon im Januar 2023 besucht und wollte sich erneut über die Situation der Zivilbevölkerung dort informieren.

Selenskyj zeichnet Baerbock mit Verdienstorden aus

Für ihre Unterstützung der Ukraine wurde Baerbock mit einem Verdienstorden ausgezeichnet. Selenskyj überreichte der Grünen-Politikerin am Dienstag im Präsidialamt in der Hauptstadt Kiew die dritte Stufe des Ordens Jaroslaw der Weise. Selenskyj hatte Baerbock die Auszeichnung bereits zum Jahreswechsel per Erlass zugesprochen.

Verleihung des Ordens des Fürsten Jaroslaw des Weisen an Bundesaußenministerin Annalena Baerbock.

© imago/photothek/IMAGO/Thomas Trutschel

Damals wurden unter anderen auch die Bundestagsabgeordneten Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) und Anton Hofreiter (Grüne) mit ukrainischen Orden der dritten Stufe geehrt. Die höchste Stufe des Jaroslaw-Ordens verlieh Selenskyj zum Jahreswechsel an den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, den spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sanchez und den albanischen Regierungschef Edi Rama. Der Orden ist benannt nach dem Großfürsten Jaroslaw dem Weisen, der von 1019 bis 1054 das mittelalterliche Reich der Kiewer Rus regierte.

Selenskyj beklagt mangelndes Tempo westlicher Hilfen bei Flugabwehr

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wies kurz vor dem Besuch Baerbocks einmal mehr auf die Dringlichkeit von Flugabwehrwaffen hin. Die Ukraine brauche am dringendsten weitere Flugabwehrsysteme und westliche Kampfjets, sagte er am Montag in seiner täglichen Videoansprache. „Leider fehlt es der freien Welt in diesen beiden Fragen an Schnelligkeit.“ Aufgrund der Luftüberlegenheit könne Russland mit Gleitbomben Städte und Verteidigungsstellungen der Ukrainer vernichten. Aktiv nutzten die Russen seinen Angaben nach die zerstörerische Taktik an den Frontabschnitten bei Charkiw sowie im Gebiet Donezk in Richtung Tschassiw Jar und Pokrowsk.

Selenskyj hatte in den vergangenen Tagen mehrfach um die Lieferung von zwei weiteren Flugabwehrsystemen des Typs Patriot gebeten. Damit könne das immer wieder aus der Luft angegriffene Charkiw besser geschützt werden. Die Millionenstadt im Nordosten der Ukraine ist eine der am schwersten vom Krieg getroffenen Orte.

Deutschland hat dritte Patriot-Einheit zugesagt

Dem Vernehmen nach verfügt die Ukraine bislang über drei der leistungsstarken Flugabwehrsysteme aus US-Produktion. Zwei davon hat Deutschland bereitgestellt, die Bundesregierung hat eine dritte Patriot-Einheit zugesagt. Es gibt allerdings keine Hinweise, ob das System schon in der Ukraine eingetroffen ist. Die dritte derzeit aktive Patriot-Einheit in der Ukraine stammt aus den USA. Washington prüft die Lieferung eines weiteren Systems. Die deutschen Versuche, Patriots bei Partnerländern in Europa oder in Übersee zu beschaffen, haben bislang nicht gefruchtet.

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Die Bundesaußenministerin sicherte den Menschen in der Ukraine dauerhafte Unterstützung zu. Putin „spekuliert darauf, dass uns irgendwann die Luft ausgeht, aber wir haben einen langen Atem“, erklärte sie. Deutschland stehe gemeinsam mit vielen anderen Ländern aus allen Teilen der Welt felsenfest an der Seite der Ukraine. „Darauf können die Menschen in der Ukraine dauerhaft bauen.“ Das zeige die Bundesregierung im Juni, wenn sie die Welt zur Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine nach Berlin einlade. „Gemeinsam mit unseren Partnern in der Welt und einem starken Bündnis aus Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Kommunen investieren wir langfristig in eine Zukunftsversicherung für die Ukraine.“

Russische Offensive bei Charkiw: Angriffe auf Infrastruktur

Die aktuelle russische Offensive im Grenzgebiet nahe Charkiw bedroht die Ukraine seit Mitte Mai gleich doppelt. Zum einen zwingt der russische Vorstoß die ukrainische Armee, dort Reserven einzusetzen, die an anderen Stellen der Front fehlen. Der Armeeführung in Kiew zufolge halten die Verteidigungslinien. Trotzdem sind die Russen etwa zehn Kilometer tief auf ukrainisches Gebiet vorgestoßen. Sie könnten bald Artillerie nach vorn bringen, die Charkiw dann zusätzlich zu den Luftangriffen beschießen könnte.

Neben militärischen Zielen hat Russland im März und April vor allem ukrainische Kohlekraftwerke beschossen. Diese sind mittlerweile fast vollständig ausgeschaltet. Auch wichtige Wasserkraftwerke sind beschädigt. Die Regierung in Kiew schätzt, dass mehr als 40 Prozent der Kapazitäten zur Stromproduktion ausgefallen sind.

Die Bundesaußenministerin nannte einen EU-Beitritt der Ukraine erneut „die notwendige geopolitische Konsequenz aus Russlands völkerrechtswidrigem Angriffskrieg“. Das Land habe „beeindruckende Fortschritte gemacht und ist trotz der russischen Zerstörungswut auf Reformkurs“. Nun gelte es, in den Anstrengungen für eine Justizreform, bei der Korruptionsbekämpfung und der Medienfreiheit nicht nachzulassen. (dpa)

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