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 Frauen unter dem Taliban-Regime: Die 25-jährige Soraya bettelt auf der Straße zwischen Kabul und Masar-i-Scharif, weil sie nach dem Tod ihrers Bruders für ihre zwei Neffen Nahrung braucht.

© Imago/Le Pictorium/Adrien Vautier

Menschenfeindliche Politik der Taliban: Das Aussetzen der Hilfe schadet den Afghanen

Die Taliban verbieten, dass Frauen für Hilfsorganisationen arbeiten. Deutschland friert seine Afghanistan-Projekte deshalb ein. Das könnte den Taliban die Unterstützung entziehen.

Von Hans Monath

Mit ihrer frauenverachtenden Politik bringen die Taliban die Menschen in Afghanistan in immer größere Not und zwingen die humanitären Helfer des Landes zu schweren Entscheidungen. Nach dem Beschluss der radikalen Islamisten, Frauen von Universitäten und von der Mitarbeit in Hilfsorganisationen zu verbannen, hat Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) verfügt, Hilfsprojekte zunächst anzuhalten. Auch private internationale Organisationen stellen ihre Arbeit in dem von Hunger geplagten Land ein – womöglich für längere Zeit.

„Ohne die Beteiligung von Frauen ist Entwicklungszusammenarbeit in keinem Land der Welt möglich“, sagte ein Sprecher des Entwicklungsministeriums auf Anfrage des Tagesspiegel. Auch in Afghanistan sei die Mitarbeit von afghanischen Frauen „unverzichtbar“.

Ausgewiesene Afghanistan-Experten befürworten diese Schritte. „Mich verwundert diese Entscheidung nicht, und ich kann sie nachvollziehen“, sagte Thomas Ruttig vom Afghanistan Analysts Network dem Tagesspiegel. Es gebe den Konsens in der humanitären Gemeinschaft, dass eine rote Linie überschritten wird, wenn Frauen von der Arbeit in Hilfsorganisationen ausgeschlossen werden: „Dann kann die eigene Arbeit nicht fortgeführt werden.“

Die Taliban wüssten das, denn die Hilfsorganisationen hätten ihnen diese Regel schon während der ersten Taliban-Regentschaft erklärt – damals noch erfolgreich. „Wenn die Taliban sich stur stellen, tragen sie auch die Verantwortung, wenn die Afghanen leiden“, meint Ruttig.

Natürlich verschärft eine Suspendierung der Tätigkeit der Hilfsorganisationen das Leiden.

Hans-Joachim Gießmann, Berghof Foundation

Ähnlich sieht das auch Professor Hans-Joachim Gießmann von der Berghof Foundation, einer NGO, sie sich seit Jahrzehnten um Vermittlung in Konflikten bemüht und über Kontakte nach Afghanistan verfügt. „Natürlich verschärft eine Suspendierung der Tätigkeit der Hilfsorganisationen das Leiden“, sagte Gießmann dem Tagesspiegel.

Die Entscheidung sei aber zwangsläufig. Alles andere würde die Verfügung des sogenannten Tugendministeriums, Frauen aus dem öffentlichen Leben auszugrenzen, „implizit und jedenfalls unwidersprochen akzeptieren“, so Gießmann.

Hinzu komme, dass es zur Hilfe von Frauen für Frauen in der Tätigkeit der Hilfsorganisationen im heutigen Afghanistan keine Alternative gebe. Der Politikwissenschaftler weiter: „Die Unvernunft liegt allein auf Seiten jener Taliban, die Frauen in die Häuser verbannen wollen, denn die Tätigkeit der Hilfsorganisationen ist für die afghanische Bevölkerung insgesamt für das Überleben unverzichtbar.“

Svenja Schulze (SPD), Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, hat die Projekte für Afghanistan ausgesetzt.

© dpa/Britta Pedersen

Nach der Machtübernahme der Taliban im Sommer 2021 hatten viele Beobachter und Politiker im Westen darauf gesetzt, dass die Abhängigkeit des Landes von ausländischem Geld die neuen Regenten zur Mäßigung zwingen werde. Doch nun zeigt sich: Die Taliban verzichten lieber auf Hilfe für ihre hungernde Bevölkerung, statt Kompromisse zu machen. Verfügt der Westen überhaupt noch über Hebel, Einfluss zu nehmen?

Ich sehe nicht, dass der Westen über viele Druckmittel verfügt.

Thomas Ruttig, Afghanistan Analysts Network

„Ich sehe nicht, dass der Westen über viele Druckmittel verfügt“, sagt dazu Thomas Ruttig. Die UN versuchten gemeinsam mit den Hilfsorganisationen, die Taliban umzustimmen. Doch was hilft dann? „Wir können nur langfristig auf den Widerstand der Afghaninnen und Afghanen setzen, die öffentlich deutlich machen, dass sie mit dieser Entwicklung nicht einverstanden sind. Dazu gehört sehr viel Mut, man könnte auch sagen: Todesmut“, sagt Ruttig. Selbst männliche Studenten im konservativen Kandahar gingen nun auf die Straße und protestierten dagegen, dass ihre Kommilitoninnen ausgeschlossen werden. Der Landesexperte sieht viele Anzeichen dafür, dass eine Mehrheit der Afghanen dagegen ist, dass Frauen Bildung verwehrt wird.

Einwirken auf die Taliban von außen könnten wohl am besten andere islamische Staaten. Denn solche Praktiken, wie die Taliban sie nun umsetzten, gebe es nicht einmal in Staaten wie Saudi-Arabien oder Katar, so Ruttig. Allerdings sei offen, ob diese Staaten tatsächlich Druck entfalten würden.

Mit Verzweiflung reagieren viele Afghaninnen auf die Entscheidung der Taliban, sie von Universitäten zu verweisen.

© Imago/Hindustan Times/Sanchit Khanna

Die Suspendierung der Hilfe sei bereits ein „starkes Druckmittel“, sagt Experte Gießmann. Sie werde die Unzufriedenheit mit den aktuellen Verhältnissen zunehmen lassen. Daran könnten auch jene Taliban, die um den ohnehin schwindenden Rückhalt in der Bevölkerung besorgt seien, kein Interesse haben.

Gießmann sieht bereits Anzeichen dafür, dass die Talibanführer untereinander streiten, ob das Beschäftigungsverbot ihren Interessen eher schade als nutze. Der Rückfall in alte Zeiten drohe zudem „auch die letzten Chancen auf die von den Taliban erhoffte Anerkennung ihrer Herrschaft im Ausland zu beseitigen“.

Den Vorwurf, es sei naiv gewesen, 2021 auf eine Mäßigung der Taliban zu hoffen, weisen beide Experten zurück. Damals habe es „durchaus unterschiedliche Stimmen innerhalb der Taliban gegeben, sagt etwa Ruttig. Der Westen habe gehofft, die moderaten Taliban würden sich durchsetzen. Es habe aber auch immer die Fraktion der Hardliner gegeben, die es ablehnte, mit jemandem aus dem Westen auch nur zu sprechen: „Diese Gruppe um Haibatullah Achundsada hat nun das Sagen, auch wenn sie womöglich nur eine Minderheit vertritt.“

Noch entschiedener widerspricht Gießmann: Es sei „keineswegs naiv“ gewesen, auf Mäßigung zu hoffen. Momentan seien allerdings die Hardliner im Vorteil, denen Ideologie wichtiger sei als das Leben der eigenen Bevölkerung. „Die unterschiedlichen Fraktionen der Taliban teilen zwar das Interesse, die eigenen Reihen geschlossen zu halten. Die aktuellen Entscheidungen zur Ausgrenzung der Frauen aus Bildung und öffentlichem Leben könnten allerdings das Gegenteil bewirken“, sagt der Politikwissenschaftler.

Die Entscheidung, ob Deutschland die Hilfsprojekte für Afghanistan dauerhaft beendet, will Entwicklungsministerin Schulze in Absprache mit anderen Gebern in wenigen Tagen treffen.

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