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Start einer Iskander-Rakete auf einem Bild des russischen Verteidigungsministeriums.

© dpa/AP/Defense Ministry Press Service/Archiv

Sanktionswidrige Lieferungen meist aus China: Immer noch steuern auch Infineon-Chips russische Marschflugkörper

Russlands setzt gegen die Ukraine auch Hightech-Kriegsgerät wie Raketen ein. In ihnen sind Chips verbaut, die oft im Westen produziert sind – auch von deutschen Konzernen.

Mit Sanktionen auch auf High-Tech-Produkte hat der Westen versucht, nach der Invasion Russlands in der Ukraine die Kriegsmaschinerie von Machthaber Wladimir Putin zu stoppen, zumindest aber auszubremsen. Immer wieder gab es allerdings Berichte, dass sich im Westen produzierte Teile in russischem Kriegsgerät finden.

Nun berichtet die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) unter Berufung auf einen Bericht des ukrainischen Präsidialamts, dass viele Teile des deutschen Elektronikkonzerns Infineon und seiner amerikanischen Tochter Cypress in russischen Marschflugkörpern verbaut seien.

Recherchen der Zeitung und des norwegischen Sanktionsfachmanns Erlend Björtvedt hätten außerdem ergeben, dass trotz geltender Sanktionen offenbar immer noch zigtausende Infineon-Chips über Zwischenhändler in vielen Ländern Russland erreichten. Der wichtigste Transitweg führe dabei über China.

Da gibt ein Händler in einem Drittland, das vielleicht keine Sanktionen verhängt hat, unsere Erzeugnisse an den nächsten weiter. Das kann dann über viele Schritte gehen, bis das Produkt irgendwann auf einer Importliste nach Russland erscheint. Es ist uns leider nicht möglich, solche Ketten komplett nachzuvollziehen.

Jochen Hanebeck, Infineon-Chef

Der deutsche Konzern ist über die Lage alles andere als glücklich. Der Vorstandsvorsitzende von Infineon, Jochen Hanebeck, sagte der Zeitung, sein Konzern wisse, dass „immer wieder auch Infineon-Produkte (… ) zu unserem größten Bedauern in russischen Waffensystemen gefunden werden“.

Persönlich finde er es „bedrückend und schwer erträglich“, dass Erzeugnisse seines Unternehmens „trotz bester Vorkehrungsmaßnahmen von Russland zu militärischer Nutzung missbraucht werden“.

Das Blatt berichtet weiter, dem ukrainischen Bericht zufolge seien Mikrochips von Infineon und Cypress in den Marschflugkörpern „Kalibr“ und „KH-101“ (Nato-Code „Kodiak“), in den „Iskander“-Versionen 9M728 und 9M729, sowie im Hyperschallgeschoss „Kinschal“ gefunden worden. Erst am Freitag war die ukrainische Hauptstadt Kiew wieder mit „Kinschal“-Raketen angegriffen worden.

Allein der „Kodiak“ enthält offenbar acht verschiedene Chips von Infineon und Cypress. Ukrainische Fachleute hätten die Chips in abgeschossenen russischen Geschossen identifiziert.

Dabei wurden neben Erzeugnissen von Infineon offenbar auch Bauteile vieler anderer westlicher Erzeuger entdeckt. Die meisten seien US-Unternehmen, aber auch in Deutschland säßen 16 mutmaßliche Produzenten und Dienstleister für die russische Rüstungsindustrie. Infineon ist nur einer davon.

Das Auswärtige Amt, so die Zeitung, habe im Juli mitgeteilt, man nehme den Bericht aus der Ukraine „sehr ernst“.

Wie das Blatt weiter schreibt, sei man mit Björtvedt, dessen Beratungsunternehmen „Corisk“ für das norwegische Helsinki-Komitee arbeitet, den Wegen nachgegangen, über die Infineon-Produkte offenbar bis heute nach Russland kommen. Dabei wurden öffentlich zugängliche internationale Zolldaten nach Infineon-Speicherchips mit der Zolltarifnummer HS85423245 durchsucht.

Zu dieser Gruppe gehört eines der Bauteile des deutschen Elektronikproduzenten, welche die Ukrainer im Navigationssystem eines abgeschossenen russischen „Kodiak“ gefunden haben sollen. Chips dieser Kategorie stehen seit dem 8. Oktober 2022 auf der Sanktionsliste der EU.

Seit Inkrafttreten der Sanktionen und dem 30. Juni habe Russland rund 160.000 Chips der Hersteller Infineon und Cypress importiert, so die FAS. Die allermeisten Sendungen kamen dem Bericht zufolge von Absendern in China. Mit einigem Abstand folgten demnach zehn weitere Länder, meist in Fernost. Wo die Absender die Infineon-Chips gekauft haben, sei nicht nachzuvollziehen.

Infineon-Chef Hanebeck sagte, sein Konzern sei für die Lieferungen nach Russland nicht verantwortlich. Sein Unternehmen habe sich schon im März 2022 aus dem russischen Markt verabschiedet. „Wir wollen kein Geschäft mit Russland machen, egal welches“, stellt er fest.

Dass „leider“ trotzdem immer wieder Infineon-Erzeugnisse „in Russland landeten“, habe mit den langen Lieferketten zu tun.

„Da gibt ein Händler in einem Drittland, das vielleicht keine Sanktionen verhängt hat, unsere Erzeugnisse an den nächsten weiter. Das kann dann über viele Schritte gehen, bis das Produkt irgendwann auf einer Importliste nach Russland erscheint. Es ist uns leider nicht möglich, solche Ketten komplett nachzuvollziehen.

Ein russischer Kampfjet vom Typ MiG-31 ist mit einer Hyperschallrakete vom Typ „Kinschal“ bestückt.

© dpa/AP/Russian Defense Ministry Press Service/Uncredited

Die Endlieferanten in China und anderswo sowie ihre Abnehmer in Russland, seien „keine Kunden“ von Infineon. Die russischen Käufer seien „Möglicherweise das fünfte oder siebte Glied in der Lieferkette“. Wie sie an die Ware gekommen seien, könne Infineon „nicht nachverfolgen“.

Hanebeck weiter: „Ich fühle mich schlecht in jedem einzelnen Fall. Aber ich könnte nicht sagen, dass wir etwas besser hätten machen können.“

Die EU hatte Anfang August auch die Sanktionen gegen Russlands Verbündeten Belarus ausgeweitet. Die Strafmaßnahmen sollen nach Angaben der EU-Kommission unter anderem dazu führen, dass die bereits geltenden Sanktionen gegen Russland nicht über Belarus umgangen werden können. Die Maßnahmen wurden der Nachrichtenagentur dpa zufolge am Donnerstag im EU-Amtsblatt veröffentlicht und somit in Kraft gesetzt.

Demnach verhängten die EU-Länder ein Exportverbot für Technologien, die in der Luft- und Raumfahrtindustrie eingesetzt werden können, wie zum Beispiel Drohnen. Außerdem sind künftig der Verkauf, die Lieferung oder die Ausfuhr von Schusswaffen und Munition verboten.

Ausgeweitet wurde zudem das Exportverbot für Güter und Technologien, die sowohl zivil als militärisch genutzt werden können. (lem)

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