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Gerettete Migranten in Libyen (Archivbild).

© dpa/stringer

Update

Von Brüssel mitfinanziert?: EU-Partnerländer setzen Migranten offenbar in der Wüste aus

In Nordafrika lassen Sicherheitskräfte Asylsuchende offenbar systematisch in Wüstengebieten allein. Einer internationalen Recherche zufolge weiß die EU davon – und finanziert die Verantwortlichen.

Von der EU finanzierte Sicherheitskräfte in Nordafrika verschleppen offenbar systematisch Asylsuchende, die nach Europa wollen. Das geht aus einer gemeinsamen Recherche des „Spiegels“ mit der gemeinnützigen Investigativredaktion „Lighthouse Reports“ und weiteren Medien aus acht Ländern hervor. Den Experten zufolge steckt dahinter ein System der Abschreckung von Migranten, die eine Flucht nach Europa erwägen.

31 Millionen Euro aus Deutschland

Die Migranten würden in abgelegenen Gebieten, zum Beispiel in der Wüste, ausgesetzt, wovon die EU-Staaten wüssten, heißt es in dem Bericht.

Der Recherche zufolge würden die EU-Länder in Tunesien, Marokko und Mauretanien ebenjene Einheiten ausrüsten, die die Asylsuchenden verschwinden lassen. Konkret würden diese Busse und Pick-ups liefern sowie Beamten trainieren. Laut Bundesinnenministerium flossen bislang 31 Millionen Euro für Ausbildung und Ausrüstung nach Tunesien

Migranten versammeln sich in einem Wüstengebiet auf der libyschen Seite der tunesisch-libyschen Grenze (Archivbild).

© dpa/Yousef Murad

Die Recherche stützt sich auf verifizierte Videos, Augenzeugenerzählungen, Satellitenbilder, vertrauliche Dokumente sowie auf Berichte von Asylsuchenden. Auch dokumentierte Gespräche mit Diplomaten, EU-Beamten und Polizisten sollen für die Recherche herangezogen worden sein.

Geflüchteter berichtet von Odyssee

Ein Geflüchteter namens François berichtet dem Bayerischen Rundfunk (BR), man habe ihn und andere Migranten während ihrer Flucht gefangen genommen und in Busse gezwungen. Anschließend seien sie verschleppt und ohne Wasser im Niemandsland an der Grenze zu Algerien ausgesetzt worden.

Wer beabsichtige zurückzukommen, werde umgebracht, sollen die tunesischen Sicherheitskräfte dem Geflüchteten zufolge gedroht haben. Er habe seine neuntägige Odyssee sorgfältig dokumentiert, berichtet François.

Die EU hat mit den betroffenen Ländern Tunesien, Marokko und Mauretanien ein Abkommen zur Eindämmung irregulärer Migration geschlossen. Die Regierungen der Länder sollen der Recherche zufolge jegliche Menschenrechtsverletzungen bestreiten.

Migranten essen gemeinsam in Tunesien.

© REUTERS

Die EU-Kommission betone, dass die jeweiligen Länder selbst für ihre Sicherheitskräfte verantwortlich seien. Dem Innenministerium von Spanien zufolge würden die spanischen Beamten in Mauretanien die Menschenrechte respektieren.

Illegale Verschleppung in Tunesien: Bundesregierung soll involviert sein

Auch die Bundesregierung sei in die illegale Verschleppung involviert. Sie trainiert und rüstet seit 2015 die tunesische Nationalgarde aus, die für die Verschleppungen verantwortlich sei.

Dem „Spiegel“ zufolge teilte das Innenministerium auf Anfrage mit, dass man großen Wert darauf lege, humanitäre Standards und Menschenrechte von Geflüchteten und Migranten zu respektieren. „Dies ist auch regelmäßig Gegenstand unserer Gespräche mit der tunesischen Seite“, heißt es weiter. Die Zusammenarbeit mit tunesischen Sicherheitsbehörden werde fortgeführt.

Abkommen als Symbolpolitik kritisiert

Dem BR zufolge kritisiert der Grünen-Europaabgeordnete Erik Marquardt Abkommen wie jenes mit Tunesien als Symbolpolitik: „Man möchte den Eindruck von Handlungsfähigkeit erwecken, und moralische, menschenrechtliche Fragen spielen dabei eine sehr untergeordnete Rolle“, so Marquardt.

Der Migrationsforscher Gerald Knaus wirft der EU-Kommission derweil Planlosigkeit vor: „Wenn wir nicht erklären, wie wir uns den Mechanismus vorstellen, der dazu führt, dass weniger Menschen in Boote steigen und es der Fantasie dieser Sicherheitskräfte überlassen, dann kommen Menschenrechtsverletzungen dabei heraus“, sagte er dem BR-Bericht zufolge.

Reaktion der EU

Ein Sprecher von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach in Brüssel von einer „schwierigen Lage“. Von der Leyens Sprecher Eric Mamer sprach von einer sich „schnell verändernden Lage“. Die EU-Kommission werde „weiter daran arbeiten“. Im Detail kommentierte er die Vorwürfe nicht. Kommissionssprecherin Ana Pisonero fügte hinzu, die Partnerländer seien „souveräne Staaten“, die selbst für ihre Sicherheitskräfte verantwortlich seien.

Tunesien als Transitland für Migranten

Tunesien sieht sich mit einer Migrationskrise konfrontiert. Das nordafrikanische Land hat seinen Nachbarn Libyen als wichtigstes Transitland für Menschen abgelöst, die auf der Route durch das Mittelmeer in die Europäische Union gelangen wollen. Viele Menschen fliehen vor Armut und Konflikten in Afrika und im Nahen Osten.

Das zentrale Mittelmeer ist eine der gefährlichsten Routen für Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa. Nach Angaben der UN-Migrationsbehörde IOM starben oder verschwanden im vergangenen Jahr fast 2500 Menschen auf diesem Weg.

Italien und andere EU-Länder versuchen, die Zahl der Flüchtlinge einzudämmen. Sie haben Libyen und Tunesien Geld oder Ausrüstung angeboten, um die Abfahrt der Menschen an den dortigen Küsten zu verhindern. (Tsp, Reuters)

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