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Kultur: Beim Graf von Monte Christo

Erinnern Sie sich noch an Edmond Dantès? Den jungen, gutaussehenden und erfolgreichen Mann, der durch eine Intrige neidischer Konkurrenten ins Unglück gestürzt wird?

Erinnern Sie sich noch an Edmond Dantès? Den jungen, gutaussehenden und erfolgreichen Mann, der durch eine Intrige neidischer Konkurrenten ins Unglück gestürzt wird? Vierzehn Jahre schmachtet er auf einer Gefängnisinsel. Dann gelingt ihm die spektakuläre Flucht. Ein Schatz, den ihm sein Zellennachbar vererbt, macht ihn zu einem sagenhaft reichen Menschen. Unerkannt reist er in seine Heimat zurück und beginnt einen furchtbaren Rachefeldzug...

Klingelt es jetzt? Bestimmt. Es ist natürlich der Graf von Monte Christo, von dem hier die Rede ist. Alexandre Dumas père hat ihn 1845 erfunden und mit dem gleichnamigen Roman einen der größten Bestseller des 19. Jahrhunderts hingelegt. Mehr als 150 Jahre später zeigt nun der Engländer Stephen Fry, wie frisch so ein alter Klassiker noch immer wirken kann, wenn man ihn ordentlich entrümpelt und aufpoliert, den Stoff neu bezieht, und so mit klugem Handwerk die meisterliche Kunst von einst in neuem Glanz erstrahlen lässt.

Etwas platter ausgedrückt: Fry klaut Altvater Dumas tantiemenfrei die komplette Geschichte, ändert die Namen, verlegt die Handlung ins England des 20. Jahrhunderts und liefert einen blitzsauberen, hochspannenden Roman ab, der als einer der dreistesten und gelungensten Plagiate seinen Rang nicht nur in der englischsprachigen Literaturgeschichte einnehmen dürfte.

Und alles ist so clever ausgedacht: Aus dem Seemann Edmond Dantès wird Ned Maddstone, der 17-jährige brave Sohn eines honorigen britischen Parlamentsabgeordneten. Auf einem Segeltörn wird ihm ein ominöser Brief zugesteckt, der eine Botschaft an eine IRA-Terroristin enthält, bei Dumas war es Napoleon. Von ekligen Schulfreunden angeschwärzt, landet Ned in den Fängen des britischen Geheimdienstes. Man verschleppt ihn in ein Irrenhaus auf einer skandinavischen Insel. Dort vegetiert der ehemalige und nun auf Dauer entsorgte Spion ihrer Majestät "Babe" - im Original hieß er Abbé, obacht Anagramm! - der Ned nach ca. 10 Jahren die Augen öffnet und ihn von den Psychopharmaka runterbringt. Babe bringt Ned alles bei, was man in dieser schlechten Welt so wissen muss, und hat praktischerweise ein hübsches Vermögen auf einem Schweizer Nummernkonto gebunkert. Nach geglückter Flucht sieht sich Ned im Besitz von 324 Millionen englischen Pfund, und mit einem Privatjet fliegt der Racheengel im heimatlichen London ein, um als geheimnisvoller Internet-Milliardär seine Peiniger von einst zur Strecke zu bringen...

Vor dieser eleganten Transposition muß man einfach den Hut ziehen. Denn das Schlitzohr Stephen Fry hat die literarhistorische Novität, die Alexandre Dumas seiner Zeit in die Welt setzte, in ihrer Modernität klar erkannt. Der Graf von Monte Christo ist der erste literarische Held, der durch die reine Kraft des Geldes triumphiert. Edmond Dantès vernichtet seine Gegner nicht mit der Waffe in der Hand, sondern indem er sie ruiniert. Sein Reichtum räumt jedes Hindernis beiseite, korrumpiert Menschen wie Institutionen und macht den Grafen zu einem gottähnlichen Herrscher, dem nichts und niemand Einhalt gebieten kann.

Dumas wollte mit diesem Motiv die "Enrichissez-vous"-Attitüde der nach-napoleonischen Restauration anprangern, und wie genial passt dieses plumpe "Bereichert euch" in die Aktien-Internet-Boom Epoche der 1990er Jahre. Die Widersacher von Frys modernem Grafen sind ebensolche Emporkömmlinge, denen Geld, Karriere und Status alles bedeutet. Ned Maddstone verwickelt sie in Skandale, hetzt die Medien auf sie, zerstört ihr Renommée und treibt sie buchstäblich in den Selbstmord. Und konsequent bleibt Fry bei der Vorlage: Wie bei Dumas wird der Held durch seine Allmacht zur einsamen Person, die schließlich, nach vollendeter Rache, feststellt, dass sie kein Herz mehr besitzt, jedes Gefühl in sich abgetötet hat.

"Wir sind nur der Sterne Tennisbälle, aufgespielt, gewechselt, wie es ihnen passt" - dieses Zitat aus John Websters Drama "Die Herzogin von Amalfi" gibt Stephen Frys Roman seinen melancholisch gleichnishaften Titel. Der 41-jährige Autor, Schauspieler, Komödiant Fry ist als bunter Hund der englischen Literaturszene vor allem für clever vermarkteten schwarzen Humor bekannt. Aber wenn auch sein Monte-Christo-Remake durchzogen ist von drolligen Szenen und pfiffigen Anspielungen - es ist im Grunde kein lustiges Buch, sondern getreu des klassischen Vorbilds ein durch und durch gesellschaftskritischer Roman.

Die leichte Hand, der souveräne Ton gewährleisten eine glänzende Lektüre, selbst wenn man den Palimpsest nicht erkennt. Aber die düstere und schlichte Message, wie sie von Maitre Dumas formuliert wurde, bleibt intakt. Wer sich ans Geld verliert, geht am Ende selbst zugrunde. Das sollen wir uns hinter die Ohren schreiben. Gut. Nach diesem Roman nimmt man sich vor, ein besserer Mensch zu werden.

Joachim Scholl

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