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„Mönch am Meer“ - eines der berühmtesten Bilder von Caspar David Friedrich

© dpa/Jens Kalaene

C. D. Friedrich : Meine Jugendliebe

Theater verflüchtigt sich. Aber auch Bilder zerfließen im Strom der Zeit - und tauchen zuweilen verjüngt wieder auf.

Eine Kolumne von Rüdiger Schaper

Erinnerungen an eine Klassenfahrt. West-Berlin, 1976. Wir waren an der Mauer, hörten einen Pflichtvortrag über deutsche Geschichte, bummelten wahrscheinlich über den Kurfürstendamm, aber darüber weiß ich nichts mehr. Im Schiller Theater hätten wir Samuel Becketts eigenhändige, legendäre Inszenierung von „Warten auf Godot“ sehen können, aber wir gingen in ein Boulevardstück.

Wir waren auch im Pergamonmuseum, doch auch davon ist nichts hängengeblieben, nichts vom Grenzübertritt, vom Osten, vom berühmten Altar. Etwas anderes hat sich mir damals unvergesslich eingeprägt: der „Mönch am Meer“ von Caspar David Friedrich. Es war Liebe auf den ersten Blick. Eine Erschütterung. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Diese Weite, diese Dunkelheit, die mir wie eine Erleuchtung vorkam.

Der Sprung ins Leben

Und die verschwindend kleine Figur, einsam und allein im Angesicht gleichsam übernatürlicher Elemente. Dem Siebzehnjährigen fehlten die Worte, ich hätte das damals nicht so ausdrücken können. Ich sah mich selbst in diesem unwahrscheinlichen Bild - der Pubertät entkommen, vor dem Sprung an die Uni, in den „Ernst des Lebens“, wie die Alten sagten.

Später habe ich mehr über den Maler erfahren, über seine Depressionen, seine Religiosität, habe das Haus in Greifswald besucht und über die Jahre immer mal wieder Bilder von ihm gesehen, in diversen Museen. Und da fiel mir irgendwann auf, dass die frühe Liebe nicht gehalten hat. Das Feuer war nahezu erloschen. Ähnlich ging es mir mit van Gogh. Auch so eine Leidenschaft der jungen Jahre.

Es ist ja nicht so, dass die Bilder altern. Es ist der Mensch, der vor das Bild hintritt und sich verändert hat. Man sieht die Malerei mit einem erweiterten Erfahrungshintergrund. Oft mag man auch sein altes Selbst nicht.

In den nächsten Tagen werde ich das große Seestück, den „Mönch am Meer“, in der Ausstellung in der Alten Nationalgalerie wiedersehen – und all die anderen Werke Friedrichs. Ich frage mich, wie die beiden Bilder aufeinander reagieren werden: das alte Bild, das ich aus den Siebzigerjahren – von mir – in Erinnerung habe. Und das Bild, das jetzt so viele sehen wollen im Caspar-David-Friedrich-Jahr.

Vielleicht ist auch nur der Rummel um den Maler in den Medien, aber ich kann es kaum erwarten. Ich schreibe dies hier wie einen Brief an eine Jugendliebe in der Hoffnung auf Antwort.

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