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Einer Verschwörung auf der Spur: Eine Szene aus der Reihe.

© Splitter

Fantasy-Comic: Zauber auf den zweiten Blick

Die fantastische Trilogie „Die Bruderschaft der Krabbe“ wirkt auf den ersten Blick krude, besticht dann aber durch faszinierende Licht- und Farbspiele und eine raffinierte Erzählweise.

Eine Antwort auf die Frage, ob beim Comic die grafische oder die erzählerische Dimension wichtiger ist, ist schwer zu finden. Bei einem hybriden Medium wie diesem ist das schwer zu trennen. Der Comic hat eine etwas sonderbare Dynamik, ein mittelmäßig gut erzählter Plot kann durch eine geschickte assoziative Bildgestaltung nur gewinnen, und umgekehrt kann sich hinter brillanten Bilderwelten ein erbärmlich unausgegorenes Storyboard verbergen.

Manchmal kann die im Comic erzählte Geschichte beim ersten Blick wirklich krude sein, vor Allgemeinplätzen der fantastischen Literatur nur so strotzen und schlussendlich trotzdem überzeugen. Dies geschieht im Dreiteiler „Die Bruderschaft der Krabbe“, der kürzlich im Splitter-Verlag auf Deutsch erschienen ist.

Aderlass für die ewige Jugend

Eine erste Betrachtung ließ nichts Gutes ahnen. Hier wurden in verschwenderischer Form fast alle erwartbaren Figuren des fantastischen Comics versammelt. Zu nennen wären der in Okkultismus und  Wiederbelebungstechnologie erfahrene Forscher plus verwachsenen Gehilfe, der impulsive und trotzdem edel-wilde Werwolf, der überalterte Vampirfürst mitsamt seiner silikonverzierten Leibgarde, die namenslosen und amorphen Alpdruckgestalten eines Lovecraft und last, but not least Imhotep als sinistrer Mediziner, der seine ewige Jugend dem Aderlass junger Knaben verdankt - Kosmetikkritik mal anders, Lady Bathory durfte in der Mottenkiste bleiben.

Aber trotz aller Klischeereiterei verzaubert die dreiteilige Reihe auf Anhieb. Dies ist zum einen der wirklich atemberaubenden Licht- und Farbatmosphäre geschuldet, die auf den Covern nur ungenügend zum Ausdruck kommt, aber auch dem raffinierten Narrativ, welches dem Leser nie eine zuverlässige Erzählinstanz präsentiert, jede Deutung bleibt bis zur letzten Seite möglich: die wahnhafte, die panische, die okkulte, die offensichtliche, die figurative.

Im Zentrum der Geschichte stehen fünf Kinder oder Jugendliche deren Schicksal durch eine Erkrankung verbunden ist. Man schwört sich gemeinsam auf ein hehreres Ziel ein und glaubt durch den Beitritt zur „Bruderschaft der Krabbe“ die Ängste vor der Operation mildern zu können. Was zunächst wie das beschreibende Szenario einer zufälligen Gruppenbildung auf einer beliebigen onkologischen Kinderstation erscheint, dreht zunehmend ins Absurde, Groteske, Fantastische.

Menschliche Schlachtabfälle: Eine Seite aus dem dritten Band.

© Splitter

Und alle diese Angstfiguren wachsen über ihre orthodoxen Funktionen hinaus, der Vampir schrumpft plötzlich zum tötungswillige Greis, dem jegliches Mittel zur Lebensverlängerung als legitim erscheint, der von dunklen  Gedanken getriebene Forscher ist nur ein erfolgsorientierter Genetiker, und auch Imhotep erscheint unter dieser Prämisse nur als verkannter Intensivmediziner.

Gemeinsam ist ihnen, dass sie einer seit Menschengedenken existierenden Verschwörung angehören, welche die fünf Kinder aufzudecken gewillt sind. Das Andere manifestiert sich in diesem Falle als riesenhafte Kreatur, flankiert von einem Jahrtausende alten Kult, einem konspirologischen Zirkel, dessen Ziel die Schaffung des Unvorstellbaren, des Unsagbaren ist - die Verwirklichung des ultimativen, weltzerstörenden Monstrums - der Krabbe. 

Vor allem der dritte Band entwickelt trotz allem phantastischem Zierrat eine verstörende Stimmung, die an Alberto Brecchias „Perramus“ erinnerte, auch hier gehen Willkür und Ausbeutung mit der Verwirklichung der einen großen Idee Hand in Hand. 

Labore und Hexenküchen - alles nur Fantasie?

Tausende von Totenkopf tragende Medizinergehilfen sortieren die menschlichen Schlachtabfälle nach ihrer Nutzbarkeit für die Schaffung der Krabbe. Neben der Darstellung bürokratischer Prozesse innerhalb einer brutalen medizinischen Verwertungskette dürften auch die mehr als deutlichen grafischen Zitate an dieser Deutung nicht gänzlich unschuldig sein. Und ganz in der Tradition des magischen Realismus (und auch der fortschrittskritischen Fantastik) wird auch hier niemals vollständig geklärt, welche Aussageabsicht den einzelnen Bildern nun innewohnt. 

Magischer Realismus: Das Cover des Abschlussbandes.

© Splitter

Der Leser kann sich auf eine verstörende, atmosphärische dichte Reise durch drei Bände gegeben, deren Ziel nicht die befriedigende Antwort auf alle Fragen ist, sondern vielmehr ein Denkanstoß über die Industrialisierung von Medizin oder den kindlichen Umgang mit dem nahenden Tod oder die wilde Fantasie zweier Comicschaffender oder vielleicht doch etwas völlig anderes - denn natürlich können wir Aufgeklärten nicht daran glauben, dass irgendwer auf diesem Planeten in Laboren oder Hexenküchen an der ultimativen Waffe arbeitet, oder?

Matthieu Gallié (Autor) und Jean-Baptiste Andreae (Zeichner): Die Bruderschaft der Krabbe, drei Bände, Splitter Verlag, Übersetzung Monja Reichert, je 56 Seiten, je 13,80 Euro. Leseproben auf der Website des Verlages.

Mehr von unserem Autor Markus Dewes finden Sie auf seinem Blog derdigitaleflaneur.blogspot.com, mehr seiner Beiträge für den Tagesspiegel gibt es unter diesem Link.

 

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