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Architektur: Flügel & Fracht

Ein Baukünstler, bei dem jedes Werk von individueller Zuwendung und frappanter Fantasie zeugt: Der Architekt Jean Nouvel wurde für seine Verdienste mit dem über 100.000 Euro dotierten Pritzkerpreis ausgezeichnet.

Der Australier Glenn Murcutt war 2002 die Ausnahme, ansonsten muss man wohl zum Starensemble der Architektur gehören, um ins Blickfeld der Jury des Pritzkerpreises zu geraten. In diesem Jahr ist Jean Nouvel gekürt. Die Verleihung der von der Hyatt-Hotelierfamilie Pritzker gestifteten und mit 100 000 Doller dotierten Auszeichnung an den Franzosen war überfällig. Der 1945 in Aquitanien geborene Nouvel gehört, anders als Architekturfabrikbetreiber vom Schlage eines Norman Foster, zu jenen Baukünstlern, bei denen jedes Werk von individueller Zuwendung und frappanter Fantasie zeugt. Wie er zum Beispiel das Thema Hochhaus angeht: „Tour sans fins“, Turm ohne Enden, hieß 1989 sein nicht realisiertes Projekt für das Pariser Hochhausquartier La Défense, ein 426 Meter hoher Turm, der aus einem Trichter wächst, ohne dass sein Fuß zu sehen wäre und der sich am Himmel in gläserne Transparenz auflöst und dort ohne Ende erscheint.

Realisiert wurde 2006 das Musée du Quai Branly beim Eiffelturm, eines der hinreißendsten ethnologischen Museen überhaupt. Bekannt wurde Nouvel mit dem Institute du Monde Arabe in Paris. Mit der signifikanten technizistischen Fassade, deren Sonnenschutzvorrichtungen wie Objektivverschlüsse einer Kamera funktionieren, gelang es ihm, arabisches Dekor mit High-Tech-Mitteln zu assoziieren. Ein anderer Kulturbau, die Oper in Lyon, machte Furore, weil er den historistischen Bau aushöhlte und in die Umfassungsmauern einen schwarzen Kubus implantierte. Schwarz die Struktur, schwarz das Interieur von Foyer und Restaurant, schwarz die Lieblingsfarbe des allzeit schwarz gekleideten Architekten. Am Persischen Golf wird Nouvel die Louvre-Dependance Abu Dhabi errichten.

Nouvels bislang wichtigster Kulturbau steht in Luzern, das Kultur- und Konzertzentrum am Ufer des Vierwaldstätter Sees. Ein gewaltiges Flugdach über der Dachterrasse schützt die Besucher, die in der Konzertpause Champagner und die Postkartenansicht der Stadt mit Bergpanorama genießen. Im Inneren des Gehäuses schwebt ein oval gerundeter Saalkörper, mit edlem Holz verkleidet, gleich einem Musikinstrument.

Gern pointiert der Architekt seine Gebäude mit Metaphern. Am Hafen von Wismar sind es containerartige Aufbauten auf dem Dach des Technologie- und Forschungszentrums, als sei das Haus ein Frachter, bereit zum Auslaufen. In Berlin hat sich Nouvel mit seinem gläsernen Kaufhaus Galeries Lafayette über das Paradigma des „steinernen Berlins“ hinweggesetzt, nicht zum Schaden der Friedrichstraße, wenngleich seine Idee vom transparenten Haus, das sein Innerstes nach außen kehrt, nur am Abend funktioniert. Wer eine Ahnung von Nouvels Format und Poesie bekommen will, muss sich in das Innere begeben und den gläsernen Doppelkegelraum bestaunen.

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