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Kultur: Schuld und Bühne

Kabarettist Matthias Deutschmann über sein Berlin-Gastspiel „Die Reise nach Jerusalem“

Herr Deutschmann, Ihr neues Programm heißt „Die Reise nach Jerusalem“. Sind Sie unter die Reporter gegangen?

Bei mir läuft zur Vorbereitung immer journalistische Recherche. Wenn man die 2006 erschienenen Reportagen von Robert Fisk über den Nahen Osten liest, kommt man in ein Fahrwasser der Fakten. Ein Gefühl von hergestelltem Elend macht sich breit. Von da ist es ein weiter Weg, das Thema ins Kabarett zu überführen.

Waren Sie selbst in der Region?

Nein, ich wollte, aber ...

Im Moment texten Sie noch auf der Erlebnisebene von Karl May?

Der nahe Osten ist kein Absurdistan. Ich halte mich an Fakten.

Gratwanderung zwischen political correctness und Antisemitismusverdacht?

Möglicherweise. Ich diskutiere nicht, ob Israel eine Existenzberechtigung hat. Obwohl die Staatsgründung mit der Vertreibung von 700 000 Arabern einherging und von daher Unrecht darstellt. Aber man kann diesen Staat nicht in Frage stellen. Ich habe bei einer Tagung mit dem Ex-Botschafter Shimon Stein diskutiert und gesagt: Es gibt nur einen gerechten Weg – über geschehenes Unrecht nicht mehr streiten, die grüne Linie von 1967 und den Teilungsplan von 1948 akzeptieren, sich zurückziehen, den Palästinenser-Staat ermöglichen. Stein war wahnsinnig freundlich und sagte mir knallhart: dass der UNO-Teilungsbeschluss von 1948 und die Definition von Jerusalem als internationaler Stadt, völkerrechtlich nicht binde. Diese Haltung ist eine der Grundlagen für die Tragödie, die uns Europäer zu langweilen beginnt.

Wie kann sie dann Thema eines Kabarettabends sein?

1948 hat der König Abd al-Aziz ibn Saud nach der Gründung von Israel gesagt: Warum müssen die Araber für die deutschen Verbrechen bezahlen? Man gebe den Juden die schönsten deutschen Städte und die Ländereien. Schuld und Sühne: Es wird für das, was es getan hat, bestraft. Ibn Sauds Argument greift der iranische Präsident auf. Und Henryk Broder sagt: „Na gut, dann holen wir doch die Israelis nach Mecklenburg-Vorpommern.“ Da beginnt es, satirisch interessant zu werden.

Gibt es etwas, was Sie sich auf der Bühne gern trauen würden?

Nein, nur im wahren Leben. Ich befasse mich gerade mit dem Werk von Walter Mossmann, der geholfen hat, in den Siebzigern das Kernkraftwerk Wyhl zu verhindern. Der stellt sich gegen die Auffassung, jede Bewegung brauche ihren „Commandante“. Die Leute machen das mit dem Widerstand selber: dezentral, netzwerkartig. Kein Revolutionspopanz nach Bolschewiki-Manier. Nein: Zivilcourage, am richtigen Ort, zur richtigen Zeit!

Wie kann man Aufklärung als Entertainment betreiben?

Es bleibt mir gar nichts anderes übrig. Ich fuchtele gerne mit der Fackel Vernunft – auch vor der eigenen Nase – herum. Bekanntlich hat aber auch die Aufklärung ihre Grenzen und kann nicht alles leisten. Wir als Karteileichen des christlichen Abendlandes sind doch jetzt religiös herausgefordert: „Warum hat Michelangelo die Decke der Sixtinischen Kapelle ausgemalt?“ Was sagt der Marxist? „Weil ein leerer Himmel unerträglich ist.“

– Das Gespräch führte Thomas Lackmann. Deutschmann gastiert bis 7. Oktober in der Bar jeder Vernunft.

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