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Respekt für Dich. Damit warb Kanzler Olaf Scholz 2021 vor der Bundestagswahl auch für höhere Mindestlöhne.

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Erst 12, dann 14 und 15 Euro: Die Mindestlohnpolitik von Olaf Scholz ist riskant

Der Bundeskanzler holt das erfolgreiche Wahlkampfthema von 2021 aus der Kiste, weil ihm die Arbeitgeber dazu die Vorlage lieferten. Die haben sich dadurch selbst in eine Falle manövriert.

Ein Kommentar von Alfons Frese

Respekt ist eine Zahl. Zwölf Euro Mindestlohn plakatierte die SPD im Wahlkampf 2021, dazu lud Kanzlerkandidat Olaf Scholz die Zwölf sozialpolitisch auf, indem er für mehr Respekt in der zunehmend polarisierten Gesellschaft warb. Zum respektvollen Umgang gehöre eben ein anständiger Lohn, meinte Scholz. Er gewann die Wahl.

Geschichte wiederholt sich. Bis zum Bundestagswahlkampf 2025 ist noch Zeit, doch mit der Forderung einer schrittweisen Erhöhung des Mindestlohns auf 14 und 15 Euro holt Scholz das alte Thema erstaunlich früh aus der Kiste. Vielleicht aber auch gerade rechtzeitig.

Im Juni trifft sich die Mindestlohnkommission, die der Gesetzgeber eingesetzt hat, um alle zwei Jahre Lohnerhöhungen zu beschließen. Es ist eine Routinesitzung; eine Anhebung der Lohnuntergrenze steht erst wieder im Juni 2025 an. Eigentlich. Nach Scholz’ Äußerung könnte die Kommission aus Arbeitgebern und Gewerkschaftern von der Regel abweichen.

8
Millionen Beschäftigte verdienen weniger als 14 Euro

Mit 14 Euro adressiert der Kanzler gut acht Millionen Beschäftigte, die derzeit weniger als 14 Euro verdienen. Im Gastgewerbe bekommen 1,1 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weniger als 14 Euro, im Handel sind es sogar 1,6 Millionen.

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2015 führte die große Koalition einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro ein, da in Dienstleistungsbranchen Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften keine Tarifverträge mehr zustande brachten und der Niedriglohnbereich so groß wurde wie nirgendwo sonst in Westeuropa.

Mit 8,50 Euro ging es 2015 los

8,50 Euro – das war schon damals nicht viel. Mehr war mit der CDU nicht möglich, die ebenso wie viele Ökonomen den Verlust von Hunderttausenden Arbeitsplätzen befürchtete, wenn die Arbeit zu teuer werde. Dazu geschah 2015 ebenso wenig wie 2022, als der Mindestlohn von 10,45 Euro auf die von Scholz versprochenen zwölf Euro stieg.

In der Gastronomie und im Handel verdienen Millionen Arbeitnehmer unter 14 Euro.

© dpa/Lea Sarah Albert

Mit den zwölf Euro korrigierte die Politik den Fehler des zu niedrigen Einstiegs 2015. Selbstverständlich reagierten die Arbeitgeber empört, es geht schließlich um Milliarden, die womöglich die Profite schmälern. Wenn überhaupt: Ganz überwiegend zahlen Kunden oder Verbraucher den höheren Mindestlohn beim Einkaufen oder in der Gaststätte.

Vor einem Jahr rächten sich die Arbeitgeber mithilfe der eigentlich unparteiischen Vorsitzenden der Mindestlohnkommission an der Politik und den Gewerkschaften, indem sie einen mickrigen Anstieg von zwölf auf 12,41 Euro Anfang 2024 und auf 12,82 Euro 2025 durchsetzten. Das war regelkonform und bildete die allgemeine Lohnentwicklung der vorausgegangenen zwei Jahre ab – nicht jedoch die ökonomische Realität. Angesichts der enormen Inflationsrate, die einkommensschwache Haushalte überproportional belastet, war die Erhöhung viel zu niedrig. Und eine Vorlage für Scholz, der die Gelegenheit nutzt und den Linken sowie Sahra Wagenknecht ein Thema wegschnappt.

Arbeitgeber haben sich selbst in eine Falle manövriert

Die Fakten geben ihm recht. In diesem Jahr bekommen die Mindestlohnempfänger hierzulande 3,4 Prozent mehr Geld, während 22 EU-Staaten im Schnitt die Lohnuntergrenze um 9,7 Prozent anhoben. Nur in Belgien stieg der Mindestlohn langsamer als in Deutschland. Aufgrund der Inflationsrate gehört die Bundesrepublik zu ein paar Ländern, in denen der Mindestlohn real sogar fällt.

Die schwache Lohnentwicklung fällt in ein Jahr, in dem die EU-Mindestlohnvorgabe aus dem Herbst 2022 umzusetzen ist. Die Richtlinie nennt als Referenzgrößen für einen angemessenen Stundensatz mindestens 60 Prozent vom Medianlohn im jeweiligen Land oder 50 Prozent vom Durchschnittslohn. In Deutschland sind das rund 14 Euro.

Das hätten die Arbeitgeber wissen können. Sie haben sich in eine strategische Falle manövriert, aus der sie sich mit einer außerplanmäßigen Erhöhung des Mindestlohns durch die Kommission befreien könnten. Das wäre auch segensreich für die Sozialpartnerschaft und die Wirtschaft überhaupt.

Wenn die Politik erneut eingreift, bleibt den Arbeitgebern nur der Rückzug aus der Mindestlohnkommission. Die Lohnhöhe würde immer von der Politik festgesetzt und in jedem Wahlkampf eine Rolle spielen. Kein schönes Szenario für die Attraktivität des Standorts Deutschland.

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