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Bundespräsidentenwahl: Merkel contra Gauck: Er hat gewonnen

Eine Ostdeutsche, die von sich sagt, dass ihr Freiheit der größte Wert sei, gegen einen Ostdeutschen, der die Freiheit zum größten Wert deklamiert. Und die CDU grämt sich, weil ein Grüner einen Konservativen der Sonderklasse gegen sie gewendet hat. Ein Kommentar.

Und was, wenn Angela Merkel wieder alle genarrt hätte? Was, wenn sie den Kandidaten fürs Bundespräsidentenamt Christian Wulff mit Absicht bis zum dritten Wahlgang hat warten lassen, ehe sie ihn mit Emphase unterstützt? Ja, es klingt – seltsam, das auch. Aber es klingt doch zugleich nach ihr, der Machtpolitikerin. Wulff hat das Amt gewollt – aber sie hätte ihm jetzt auf ihre Weise klar gemacht, wer immer das letzte Wort hat. Auf ihre Weise bedeutet: Was kurzfristig nach Schaden aussieht, könnte sich dann langfristig als Nutzen herausstellen, nämlich in der zukünftigen Zusammenarbeit mit einem Bundespräsidenten Wulff. Denn die Schlagzeilen, die werden durch ihn, der das Amt gut ausfüllen wird, doch schon wieder besser werden …

Wahr oder unwahr? Wahr ist so viel: Merkel hat damit gerechnet, dass es im ersten Wahlgang nicht reicht. Hätte sie zu Beginn alles verfeuert, um die Versammlung auf Wulffs Seite zu ziehen, wäre ihr Schaden größer geworden. Richtig, sie konnte die Stimmabgaben nicht genau planen – dafür aber ihr eigenes Verhalten als Vorsitzende der Bundesversammlungsfraktion, auf die jeder Delegierte schaut.

Zutreffend ist zuletzt, dass sie ziemlich sicher sein konnte, dass Wulff im dritten Wahlgang durchkommt. Wer will am Ende schon sein Mandat aufs Spiel setzen; so setzte sie sich an die Spitze der ohnehin erwartbaren Bewegung. Für all das muss man Nerven haben und einstecken können. Keiner wird behaupten, dass Merkel das nicht könnte. Nur nebenbei: Mit Joachim Gauck teilt die ostdeutsche Kanzlerin die Freude über die Möglichkeit, in Freiheit abstimmen zu dürfen. Das ist ihr wirklich und wahrhaftig ein hohes Gut.

Doch können Merkel die Geister, die sie herausgefordert hat, gefährlich werden. Das Herausragende an Gaucks Auftreten war, dass er über die Gabe der Rede verfügt; dass er partizipatorisches Temperament versprühen kann; dass er Gefolgschaft zu erzeugen vermag; dass er ein Momentum schafft. Das alles, was zum Eros der Demokratie gehört, hat und kann die Kanzlerin nicht. Nie ist es deutlicher geworden als im Kontrast. Sie wagt eben nicht, sagt nicht: Heute und hier ist der Tag, an dem wir zeigen, dass wir geschlossen und entschlossen sind, Deutschland zu führen und zu verändern, mit dem jüngsten Bundespräsidenten, den es je gab.

Genau darin liegt auch das, im Nachhinein gesehen, perfide Kluge der Benennung Gaucks. Merkel contra Gauck: Er hat gewonnen. Eine Ostdeutsche, die von sich sagt, dass ihr Freiheit der größte Wert sei, gegen einen Ostdeutschen, der die Freiheit zum größten Wert deklamiert. Und die Union grämt sich, weil es ein Grüner war, der einen Konservativen der Sonderklasse gegen sie gewendet hat. Auf diese Idee muss man erstmal kommen: Jürgen Trittin hat sich etwas dabei gedacht. Er hat gesät, was aus rot-grüner Sicht Früchte tragen kann. Auch nicht heute, aber von heute an: böse Zweifel. Der Boden ist bereitet. Hier – und bei den Linken. Die zwiegespaltene Partei, in Westlinke und Ostpragmatiker, wurde schließlich auch noch gestellt, auf offener Bühne. Und was tut sie? Sie befreit sich nicht vom Gestern, sie enthält sich der Wahl, um nicht zu implodieren. Das wirkt wie aus der Vergangenheit.

Wir werden uns an diesen 30. Juni 2010 erinnern. Es war der Beginn eines hochpolitischen Kampfes: um Begriffe und die Macht. Nur kann ironischerweise Merkel wieder gewinnen, je mehr Wulff als Bundespräsident reüssiert.

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