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Atomkraftgegner halten am 25.04.2011 in Bergrheinfeld (Unterfranken) zwei «Atomkraft Nein Danke»-Fahnen vor die Kühltürme des Atomkraftwerks Grafenrheinfeld.

© dpa/David Ebener

Aufgebauschtes Sicherheitsgutachten?: Warum Habeck nicht alles zum Atom-Ausstieg wusste

Eine Laufzeitverlängerung für AKWs und ein Streckbetrieb seien nicht sinnvoll, hieß es 2022 vom Wirtschaftsministerium. Fachbeamte hatten das aber teils anders beurteilt.

Robert Habeck war von dem Vermerk seines Staatssekretärs Patrick Graichen begeistert. Von einem „famosen Papier“ sprach der grüne Wirtschaftsminister. Auf fünf Seiten hatte Graichen am 4. März 2022 dargelegt, dass Deutschlands Atomkraftwerke trotz Gasmangels nicht länger am Netz bleiben sollten.

Sein Fazit: Eine Laufzeitverlängerung über den Jahreswechsel hinaus sei nach einer Abwägung von Nutzen und Risiken für die „drei noch bestehenden Atomkraftwerke auch angesichts der aktuellen Gaskrise nicht zu empfehlen“.

Laut Graichen führe ein Weiterbetrieb demnach zu rechtlichen Problemen, wäre technisch und personell kaum umsetzbar und löste die Energiekrise nicht. Eine etwas veränderte Version dieses Prüfvermerks veröffentlichte das Wirtschaftsministerium kurz darauf auch auf seiner Website.

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Auch in einem Frage-Antwort-Text wurden eine mehrjährige Laufzeitverlängerung oder ein Streckbetrieb ins Frühjahr 2023 hinein, der nach einer Intervention von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schließlich stattfand, als nicht hilfreich dargestellt.

Ministeriumsunterlagen zeigen nun allerdings, dass diese Sichtweise von Fachbeamten im Wirtschaftsministerium und im Umweltministerium nur bedingt geteilt wurde. Die Unterlagen wie die Kommunikation zwischen Habeck und seinem Staatssekretär sind nach einer Klage des Magazins „Cicero“ nach dem Informationsfreiheitsgesetz öffentlich geworden.

Union droht mit Untersuchungsausschuss

Die Union macht Habeck deshalb nun schwere Vorwürfe. „Der alte Verdacht erhärtet sich: Beim Kernkraft-Aus wurden Parlament und Bevölkerung belogen“, schrieb der Parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, Thorsten Frei, bei X. „Habeck sollte unverzüglich sämtliche Akten zum Aus der AKWs auf den Tisch legen.“ Ansonsten drohe ein Nachspiel.

Die Bundestagsausschüsse für Klimaschutz und Energie sowie für Umwelt kommen an diesem Freitag deshalb zu Sondersitzungen zu den Entscheidungen vor dem deutschen Atomausstieg zusammen. Im Gespräch sei eventuell auch ein Untersuchungsausschuss, hieß es aus der Union, sollte der Grünen-Politiker die Aufklärung verweigern.

Das Wirtschaftsministerium wies die Vorwürfe als verkürzt und ohne Kontext zurück, die gezogenen Schlüsse seien so auch unzutreffend. Dass das Atom-Aus gegen den Rat von Fachbeamten beschlossen wurde, kann man in Habecks Ministerium nicht erkennen.

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Konkret geht es um ein Gutachten aus der Stromabteilung des Wirtschaftsministeriums. Darin plädieren die Beamten dafür, einen sogenannten Streckbetrieb für die drei noch am Netz befindlichen AKWs bis zum 31. März zu prüfen. So könne der Erdgasverbrauch im Stromsektor auf ein Minimum reduziert werden.

Den weitgehenden Ersatz von teuren Gaskraftwerken mit stillgelegten Kohlekraftwerken bezeichnen die Strommarktexperten als „äußerst risikoreich“. Durch einen Einsatz der Kernkraftwerke im Streckbetrieb „könnten die Strompreise in vielen Stunden sinken“.

Gutachten hat Habeck nicht erreicht

Dieses Gutachten für einen Streckbetrieb hat Wirtschaftsminister Habeck nicht erreicht. Von der Leitungsebene habe nur Graichen den Bericht gelesen, teilte das Ministerium dem Tagesspiegel mit. Man verweist allerdings darauf, dass zu einer möglichen Laufzeitverlängerung „verschiedene Argumente gehört und gewogen“ worden seien – etwa auch die Argumente der Kraftwerksbetreiber, die keinen Nutzen in einem Streckbetrieb gesehen hätten. „All diese Argumente sind in den Abwägungsprozess, die Meinungsbildung und die Ergebnisse eingeflossen.“

Im Bundesumweltministerium wurde zeitgleich geprüft, ob eine Verlängerung der Laufzeit überhaupt sicher wäre. Die Beamten der Abteilung „Nukleare Sicherheit, Strahlenschutz“ gehen in dem Gutachten grundsätzlich davon aus, dass ein Streckbetrieb oder eine mehrjährige Laufzeitverlängerung mit der nuklearen Sicherheit „vereinbar wären“, allerdings nur unter Voraussetzungen.

Während die Beamten gegen einen Streckbetrieb wenig Bedenken geltend machen, sehen sie bei einer mehrjährigen Laufzeitverlängerung viele Risiken und Probleme.

Die Beamten warnen davor, dass es neue Brennstäbe bräuchte, die womöglich nicht zu den deutschen Atomkraftwerken passten. „Die Kerne würden von den betriebsbewehrten Kernen der letzten Jahre abweichen“, schreiben die Beamten, weshalb eine besonders aufwendige Kontrolle des Betriebs nötig wäre.

Die deutschen Atomkraftwerke waren zudem wegen des nahenden Atomausstiegs seit 13 Jahren nicht mehr grundlegend überprüft worden, obwohl eine Sicherheitsüberprüfung nach den Regeln der internationalen Atomenergiebehörde eigentlich alle zehn Jahre vorgeschrieben ist. Nun wäre eine besonders aufwendige Überprüfung aller Anlagen nötig gewesen. Zudem fehlten wegen des geplanten Atomausstiegs Ersatzteile und Personal.

Aus den vielen Bedenken der Beamten kann man den Schluss ziehen, dass eine mehrjährige Verlängerung der Laufzeit sicherheitstechnisch kaum in Betracht kommt. Diesen Schluss zog dann auch der Abteilungsleiter der Beamten. Eine Verlängerung der Laufzeit über den 31. Dezember 2022 hinaus sei sicherheitstechnisch nicht vertretbar, schrieb der Chef der Atomaufsicht, Gerrit Niehaus, in einer zweiten Version des Vermerks fett gedruckt über die Erläuterungen seiner Beamten.

Doch Niehaus‘ Urteil bezog sich nicht nur auf eine Verlängerung der Laufzeit um mehrere Jahre, sondern auch auf den Streckbetrieb. Hierfür liefert der Vermerk anschließend allerdings kaum Argumente.

Aus den von „Cicero“ freigeklagten Unterlagen lassen sich so zusammenfassend zwei Schlüsse ziehen: Ein Gutachten, das für einen Streckbetrieb argumentiert, hat den zuständigen Wirtschaftsminister Habeck nicht erreicht. Und ein Abteilungsleiter im Umweltministerium hat aus dem Fachgutachten seiner Beamten einen recht weitgehenden Schluss gezogen, und damit die Risiken eines Streckbetriebs womöglich dramatisiert.

FDP attackiert Habeck

Die Opposition vermutet allerdings einen größeren Skandal. CSU-Generalsekretär Martin Huber attackierte Habeck am Donnerstag scharf. „Habeck hat offensichtlich auch den Bundeskanzler beim AKW-Aus belogen. Sein Rückhalt für die AKW-Abschaltung beruht auf falschen Tatsachen“, sagte Huber dem Tagesspiegel. Olaf Scholz müsse jetzt durchgreifen und den Rückbau der Atomkraftwerke stoppen.

Die berichteten Vorgänge im Wirtschaftsministerium über den Atomausstieg stehen klar im Widerspruch zu einem wissenschaftsbasierten Politikstil.

Stephan Seiter, technologiepolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag

Auch aus der FDP-Fraktion wird Habeck angegriffen. „Die berichteten Vorgänge im Wirtschaftsministerium über den Atomausstieg stehen klar im Widerspruch zu einem wissenschaftsbasierten Politikstil“, sagte der technologiepolitische Sprecher Stephan Seiter dem Tagesspiegel. Die Hausleitung habe offensichtlich die Kompetenz ihrer Fachleute ignoriert. „Ich erwarte von Robert Habeck eine zügige und transparente Aufklärung der Vorgänge.“

In der SPD kann man nicht verstehen, warum die Union nun den Atomausstieg infrage stellt. „Der Atomausstieg war richtig: Die Energiepreise sind gesunken, die Versorgungssicherheit ist stets gewährleistet und es sind so viele Erneuerbare am Netz wie nie zu vor“, sagte Fraktionsvize Matthias Miersch der Mediengruppe Bayern. Es gebe keinen Weg zurück in die alte Atomwelt. „Die Zukunft ist erneuerbar, günstig und klimafreundlich.“

Von einer „Phantomdebatte“ spricht Harald Ebner von den Grünen. Die Koalition habe die sich verschärfende Energiekrise nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ernst genommen, sagt der Vorsitzende des Umweltausschusses im Bundestag, und deshalb schließlich entschieden, „auch die letzten drei Atomkraftwerke bis Mitte April 2023 länger laufen zu lassen“. (mit Agenturen)

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