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Menschenrechtswidrig: Europas Asylpraxis fällt durch

Straßburger Gerichtshof urteilt: Flüchtlinge dürfen nicht nach Griechenland abgeschoben werden. Auch ihre Behandlung wird kritisiert.

Als ob sie es geahnt hätten, dass Ärger droht, haben sie im Bundesinnenministerium diese Woche bereits gehandelt. Die Zurückweisungen von Asylbewerbern von Deutschland nach Griechenland, wo die Flüchtlinge erstmals europäischen Boden betreten hatten, wurden am Mittwoch zumindest für ein Jahr gestoppt. Diese Zeitspanne könnte nun noch deutlich länger werden, denn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat am Freitag sowohl die Abschiebungen nach Griechenland als auch die Behandlung der Flüchtlinge dort für menschenrechtswidrig erklärt.

Geklagt hatte ein Afghane, der im vergangenen Jahr von Belgien nach Griechenland abgeschoben worden war. Sein Asylantrag wurde erst gar nicht geprüft, weil er über Griechenland in die Europäische Union eingereist war. Das sogenannte Dublin-II-Abkommen innerhalb der EU regelt, dass dieses Einreiseland für die Bearbeitung der Anträge zuständig ist. In Deutschland wird dafür auch oft die Bezeichnung „Drittstaatenregelung“ verwendet. Das führt unter anderem dazu, dass die Bewerberzahlen in den Staaten mit einer EU-Außengrenze ansteigen, was auch zu Problemen bei der Unterbringung führt, während die Zahlen im Innern Europas sinken – so seit Jahren auch in Deutschland.

Nun muss Belgien dem Mann 24 999 Euro Schadenersatz zahlen, ordnete das Gericht an. Die Folgen jedoch dürften viel weiter reichen, zielt das Urteil doch mitten ins Herz der europäischen Asylpraxis. Schon in den ersten Reaktionen auf das Urteil zeichnete sich die künftige politische Kampflinie ab. Gegner der gegenwärtigen Regelungen wie die deutsche Flüchtlingsorganisation Pro Asyl sprachen von einer „Sternstunde für den Menschenrechtsschutz in Europa“. Nun müssten „EU-weit Überstellungen von Asylsuchenden nach Griechenland gestoppt werden“, sagte der Pro-Asyl-Experte Karl Kopp. Die grüne Europaabgeordnete Ska Keller forderte als Konsequenz „ein faires, menschenwürdiges und gerechtes Gemeinsames Europäisches Asylsystem“. Ähnlich äußerte sich auch die zuständige EU-Kommissarin Cecilia Malmström. Sie lud die Mitgliedstaaten ein, sich noch einmal mit dem Brüsseler Vorschlag zu befassen, das Dublin-II-Regelwerk zu ändern und mit einem Notfallmechanismus auszustatten. Ein Teil der Flüchtlinge würde dabei auf andere europäische Länder verteilt.

Erst vor wenigen Wochen hatten konservative europäische Parlamentarier und Minister – darunter der deutsche Innenressortchef Thomas de Maizière – diese ursprünglich für das Jahr 2012 vorgesehene Reform in einem spektakulären Coup zu Fall gebracht. Neben den Sozialhilferegelungen wurde damals vor allem den Ideen zur Verteilung heftig widersprochen.

Die Konservativen sehen die Probleme auch nicht im Dublin-II-System: „Daran darf im Grundsatz nicht gerüttelt werden“, sagte am Freitag der CSU-Europaabgeordnete Manfred Weber. „Abgestellt werden muss aber, dass manche EU-Mitgliedstaaten die gemeinsamen Standards nicht umsetzen.“ Auch in einem Papier der Bundesregierung heißt es, die Entscheidung zur Aussetzung der Abschiebungen stelle „nicht das Dublin-System als solches infrage“. Vielmehr soll Griechenland geholfen werden, die seit Jahren und nun auch vom Straßburger Gericht kritisierten Zustände in den Auffanglagern zu verbessern und ein faires Asylverfahren zu garantieren. Athens Regierung hat der EU-Kommission inzwischen einen Aktionsplan dazu vorgelegt. Ob das derzeitige EU-Asylsystem auf diese Weise zu retten ist, darf nach der Straßburger Entscheidung aber noch entschiedener bezweifelt werden als zuvor.

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