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Politik: Pragmatische Prognosen

Widersprüche nach Urnengang in der Ukraine – künftiger Präsident wird offenbar in Stichwahl ermittelt

Bei der Präsidentschaftswahl in der Ukraine hat offenbar keiner der 24 Kandidaten die erforderlichen 50 Prozent der Stimmen auf sich vereinen können. In der wahrscheinlichen Stichwahl am 21. November werden sich der von Moskau unterstützte Premier Wiktor Janukowitsch und der als Reformer geltende Oppositionschef Wiktor Juschtschenko wohl erneut den Wählern stellen. Erste Prognosen über den Ausgang des Urnengangs zeichneten am Wahlabend ein widersprüchliches Bild. Während unabhängige Institute den Vorsprung von Juschtschenko auf seinen Rivalen mit zwei bis acht Prozent bezifferten, sah ein staatliches Institut Janukowitsch mit vier Prozent vorn. Die Bekanntgabe eines vorläufigen Endergebnisses hat die Zentrale Wahlkommission für Montagvormittag angekündigt.

Kämpferische Zuversicht hatte Oppositionschef Juschtschenko schon zum Auftakt der Präsidentschaftskür demonstriert. Im Fall von Manipulationen oder der Annullierung des Urnengangs werde die Opposition den „Wahlsieg nicht aus der Hand geben“. Der 50-Jährige kündigte nach seiner Stimmabgabe in Kiew eine „adäquate Antwort“ auf die mögliche „Verletzung demokratischer Prozeduren“ an: „Uns macht weder die Miliz noch die Armee Angst.“

Sicherheitskräfte waren in den Straßen der Hauptstadt Kiew am Wahltag indes nur vor den Toren der streng abgeriegelten Wahlkommission präsent. Der Andrang in den Wahllokalen war groß: Ersten Schätzungen zufolge machten fast vier Fünftel der 38 Millionen Wahlberechtigten von ihrem Wahlrecht Gebrauch. Zumindest bis zur Auszählung hatten die 4000 ausländischen Wahlbeobachter keine Manipulationen in großem Ausmaß registriert. Doch vor allem im Westen des Landes klagten viele der Wähler, die vorab auf Unterschriftenlisten ihre Unterstützung für Juschtschenko erklärt hatten, dass sie aus den Wahllisten gestrichen worden seien. Ein georgischer Wahlbeobachter wurde in den Karpaten verprügelt, als er sich weigerte, das örtliche Wahllokal zu verlassen. Aus anderen Regionen kamen Berichte über Donezker Reisebusse mit so genannten Mehrfachwählern, die zur Unterstützung des Premiers mit gefälschten Wahlscheinen von Wahlbüro zu Wahlbüro getourt sein sollen.

Nach massiven Behinderungen im Wahlkampf hatte die Opposition Wahlfälschungen befürchtet. Es gebe keinen Grund zur Beunruhigung, wiegelte der von Amtsinhaber Kutschma unterstützte Janukowitsch nach seiner Stimmabgabe ab: „Die Entscheidung wird in den Wahllokalen fallen.“ Juschtschenko, der seine mysteriöse Erkrankung im September als gezielten Vergiftungsversuch bezeichnet, verschob unterdessen die für den Wahlabend geplante Großdemonstration der Opposition vor der Wahlkommision aus Furcht vor Provokationen der Staatsmacht auf Montag.

Thomas Roser[Warschau]

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