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Brandenburg: Wie ein Hochsicherheitstrakt

Von Terrorabwehr bis Verbraucherschutz – Neues Landeslabor in Frankfurt (Oder)

Von Terrorabwehr bis Verbraucherschutz – Neues Landeslabor in Frankfurt (Oder) Von Claus-Dieter Steyer Frankfurt (Oder). Brandenburg bündelt seine Kräfte zum Test von Lebensmitteln, Schlachtvieh, Tierblut und verdächtig erscheinenden Substanzen in Briefen ab sofort in Frankfurt (Oder). In einem ehemaligen Verwaltungsgebäude des nach der Wende aufgelösten Kombinates für Mikroelektronik eröffnete Agrarminister Wolfgang Birthler (SPD) gestern dafür das neue Landeslabor. Es fasst bisherige Ämter für die Veterinär- und Lebensmitteluntersuchung zusammen. 375 Mitarbeiter sollen hier sowie in den Außenstellen Cottbus, Potsdam, Oranienburg und Kleinmachnow vor allem das Vertrauen der Bürger in die verkauften Lebensmittel stärken und auf Gefahren frühzeitig aufmerksam machen. Das mehrstöckige Haus im Gewerbegebiet Markendorf am Frankfurter Stadtrand gleicht bisweilen einem Hochsicherheitstrakt. Dicke Stahltüren lassen sich nur mit einem Code öffnen, blinkende Lampen signalisieren hochbrisante Bereiche und überall warnen Schilder vor Seuchengefahren und einem unbefugtem Betreten. Ganz streng geht es in der Abteilung „Bio-Terrorismus“ zu. Hier landen beispielsweise in Postverteilzentren auffällig gewordene Briefe. Oft rieselt weißes Pulver heraus oder die Postbeamten stellen seltsame Gerüche fest. Die Polizei bringt die Sendungen dann ins Frankfurter Labor, um dem Verdacht auf Milzbrand- oder Anthrax-Erregern nachzugehen. Seit im Oktober 2001 in den USA Milzbrand als biologischer Kampfstoff in Briefen verschickt worden war, läuten auch in Brandenburg bei jedem Auftreten von unbekanntem Pulver die Alarmglocken. Die Vorsichtsmaßnahmen sind verständlich, führt die Infektion doch meistens zum Tod. Seit der Eröffnung der Abteilung „Bio-Terrorismus“ im März vergangenen Jahres wurden neun Briefe mit Pulver auf Milzbrand untersucht. In allen Fällen bestätigte sich der Verdacht glücklicherweise nicht. Beim Rundgang des Ministers durch diese mit mehreren Schleusen gesicherten Labors heulen sofort die Sirenen. „Hier herrscht permanenter Unterdruck, damit sich die möglicherweise vorhandenen Bakterien nicht ausbreiten können“, erklärt Laborchef Roland Körber die Sicherheitsvorkehrung. „Die Tür war wohl zu lange offen, so dass die Alarmgeräte sofort ansprangen.“ Die hier beschäftigten Angestellten stecken in einem luftdichten Anzug, der jeden Zentimeter Haut bedeckt. Selbst die Atemluft wird gefiltert. Das Labor könnte nach Auskunft von Direktor Körber auch Erregern der Pest oder der Lungenkrankheit SARS auf die Spur kommen. „Wir besitzen die modernsten Geräte und erfüllen selbst strengste EU-Kriterien an staatliche Labore“, versichert er. Auf dem Weg zum Untersuchungsraum von Paprika aus Griechenland und Portugal nennt der aus Sachsen-Anhalt nach Brandenburg gekommene Experte ein anschauliches Beispiel. „Stellen Sie sich den riesigen Bodensee und ein Stück Würfelzucker vor. Wird dieser ins Wasser geworfen, müssen wir ihn bei einer Probe nachweisen.“ Das klingt unglaublich, aber die neueste Technik macht es wohl möglich. 21,5 Millionen Euro lässt sich Brandenburg sein Labor jährlich kosten. Davon erwirtschaften die Mitarbeiter zwischen drei und vier Millionen durch Aufträge durch die Wirtschaft und andere Behörden selbst. Im Unterschied zum Robert-Koch-Institut in Berlin und anderen Wissenschaftszentren wird hier allerdings nicht geforscht, sondern nur überwacht. Beim Paprika konzentrierte sich die Untersuchung auf mögliche Rückstände von Pflanzenschutzmitteln. Viel Arbeit verschafft dem Labor die Kontrolle von geschlachteten Rindern auf BSE-Erreger. 50 000 Proben schicken die Schlachthöfe und Tierärzte jährlich nach Frankfurt. Das Fleisch zum Testen trifft meistens in den Nachmittags- und Abendstunden ein. Die Tests erfolgen in den Nachtstunden, damit am nächsten Morgen die Verarbeitung in den Schlachthöfen fortgesetzt werden kann. Dank der Ohrmarke, die jedes Rind nach seiner Geburt erhält, ist die Kontrollkette kaum zu überlisten. Außerdem untersuchen die Laboranten – zu 85 Prozent sind es Frauen – jährlich 500 000 bis 600 000 tierische Blutproben, 180 000 Milchlieferungen sowie 5000 Proben von Futtermittel und 15 000 verschiedene Lebensmittel. Dabei können sie bei einem einzigen Test je nach Auftrag bis zu 350 Substanzen nachweisen. Das trifft auch auf Hühner zu, die täglich in der Pathologie fachmännisch zerlegt werden. Ein ganz anderer Geruch dringt aus der Alkohol-Abteilung nach draußen. Es riecht wie in einer Schnapsbrennerei. Dutzende geöffnete Wein-, Sekt- und Bierflaschen verströmen zusammen mit den hellen, roten und dunklen Substanzen in unzähligen Reagenzgläsern und anderen Behältern ein sonderbares Gemisch. In einer aufwändigen Prozedur testen die Angestellten hier den Alkoholgehalt und die Richtigkeit der Angaben auf den Etiketten über Zusatzstoffe. Auch die Überwachung des deutschen Reinheitsgebots bei Bier gehört zu den Aufgaben. Da hat beispielsweise die neueste Erfindung aus der Klosterbrauerei Neuzelle wenig Chancen auf Anerkennung. Das „Anti-Aging-Bier“, das auf der Grünen Woche seine Premiere erlebt, fiel bei den Labortests durch. Es enthält neben Gerste, Hopfen und Wasser wieder einen eigentlich unerlaubten Zuckersirup. Das steht zwar auch auf dem Etikett, weil sich die Klosterbrauerei auf ein uraltes Rezept beruft. Aber das zuständige Lebensmittelüberwachungsamt des Landkreises Oder-Spree wollte es genau wissen und schickte deshalb eine Flasche der neuen Kreation ins Labor. Damit dürfte eine neue Runde im Streit um den Namen Bier auf den Neuzeller Etiketten, den das Amt ablehnt, entbrannt sein. Eine solche Auftrags-Untersuchung gehört im neuen Landeslabor eher zu den Ausnahmen. Meistens handelt es sich bei den Substanzen in den Reagenzgläsern um ganz gewöhnliche Stichproben aus dem Supermarkt.

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