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Landeshauptstadt: „Versteckt vor der Gesellschaft“

Einfache Frage, keine Antwort: Wie viele Obdachlose leben in der Landeshauptstadt?

Seit zwei Jahren wohnt Norbert Mentel in Potsdam. Aber das Adressfeld in seinem Ausweis ist frei. Sein Zuhause? „Draußen, versteckt vor der Gesellschaft.“ Der Mann, der diese Worte sagt, sieht seinem Gegenüber beim Reden in die Augen, macht einen herzlichen, vertrauenserweckenden Eindruck. So schnell scheint den graugelockten Mitvierziger im Norwegerpullover nichts aus der Ruhe zu bringen. Trotzdem führt keine Bank sein Konto. Seine Wertsachen – ein Handy und die Papiere – hat er immer bei sich. Zur Zeit arbeitet der gelernte Maler/Lackierer im Olympiastützpunkt - halbtags als Maler für 1,30 Euro die Stunde. Nach der Arbeit kommt er in die Suppenküche. Hier, im Bürocontainer auf dem Gelände der Stadtverwaltung, kennt man sich. Etwa 50 Leute kommen täglich vorbei, sagt Suppenküchen-Chef Friedhelm Loter. Mindestens die Hälfte von ihnen sei obdachlos, schätzt er. Sie können sich hier duschen, bekommen gespendete Kleidung, können ihre Wäsche waschen.

„Wir kriegen nur Episoden mit“, sagt Jörg Jutzi von der Volkssolidarität, dem Träger der Suppenküche und erzählt von Menschen, die im Zelt im Wald oder in Abrisshäusern wohnen. Wie viele Obdachlose gibt es in Potsdam? Ein einfache Frage, auf die keiner eine Antwort weiß. 75 Bewohner zählt das Obdachlosenwohnheim im Lerchensteig zur Zeit, so Angela Basekow, Chefin der Potsdamer Arbeiterwohlfahrt (AWO), dem Träger der Einrichtung. Fünf freie Plätze gibt es dort noch, dazu zehn Notschlafplätze, die ohne Formalitäten und Bezahlung für maximal drei Tage in Anspruch genommen werden können. Im AWO-Familienhaus in der Berliner Straße für Familien ohne Bleibe seien von insgesamt 24 Plätzen „drei oder vier“ noch frei. Einen Trend kann Basekow nicht feststellen. Die Auslastung sei witterungsabhängig.

„Nicht jeder, der obdachlos ist, wohnt hier“, betont Hans-Joachim Böttche, der Bereichsleiter Wohnen beim Fachbereich Soziales der Stadtverwaltung. Seine Abteilung veranlasst die Einweisung in das Obdachlosenheim. Dazu muss der Betroffene seine Situation allerdings „bekannt machen“. Davor scheuen sich jedoch viele: „Wenn du da bist, kriegst du erst recht keine Bude mehr“, findet ein anderer Suppenküchen-Gast. Seit September 2006 hat der 42-Jährige wieder eine Wohnung. Auch er war eine Zeitlang obdachlos. Als „verdeckt Obdachloser“ wohnte er bei einem „älteren, einsamen Mann“. So lange, bis ihn Nachbarn beim Vermieter „denunzierten“.

Böttche rechnet mit einer „relativ hohen Dunkelziffer“ für die Landeshauptstadt. Der Versuch einer Schätzung - „Kaffeesatzleserei“. Auch bei der Potsdamer Agentur zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (PAGA) führt man keine Statistik über die Zahl der Hilfeempfänger ohne festen Wohnsitz. Eine entsprechende Erfassung sei zwar geplant, gegenwärtig im Computersystem jedoch nicht möglich, so PAGA-Sprecherin Uta Kitzmann. Dagegen gab es laut Kitzmann im vergangenen Jahr 1061 „Vorsprachen“ bei der PAGA im Horstweg. Es handele sich dabei um „Durchreisende“, Menschen ohne Wohnsitz, die sich hier ihren Tagessatz von 11,50 Euro abholen wollten. Die Zahl ist aber wenig aussagekräftig: Denn, so schränkt Kitzmann ein, theoretisch können sich darunter Personen befinden, die mehrmals auftauchten und doppelt gezählt worden sind. Auch das Einwohnermeldeamt kennt laut Stadt-Sprecherin Rita Haack die Zahl der Potsdamer ohne festen Wohnsitz nicht.

Die Polizei, Schutzbereich Potsdam, zählt die Anrufe von Bürgern, die „hilflose Personen“ beobachten und melden, nicht. Aktuell in dieser Woche gab es einen solchen Fall im Staudenhof. Ein dort liegender Mann hatte jedoch „jede Hilfe abgelehnt“, so Polizeisprecherin Angelika Christen auf PNN-Anfrage. Der Handlungsspielraum der Polizei sei nicht groß, erklärt Christen: „Wir dürfen ihn nicht gegen seinen Willen irgendwo hinbringen.“ Nur Betrunkene könnten zum eigenen Schutz in Gewahrsam genommen werden.

Ausgerechnet auf dem Dach der Polizeiwache in der Henning-von-Tresckow-Straße war Ende Dezember 2006 die Leiche eines Obdachlosen gefunden wurden. Die Staatsanwaltschaft wartet immer noch auf das endgültige Obduktionsergebnis, geht aber nicht von einem Fremdverschulden aus, so Staatsanwalt Lehmann gegenüber den PNN. Ein weiterer toter Obdachloser wurde bereits im November in der Speicherstadt gefunden. Er war nach Angaben der Polizei „eines natürlichen Todes“ gestorben.

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