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Kultur: „Mein Stifter“ – „Ein Luxus, so aus der Zeit zu sein“

Jedes Leben ist ein Exempel, mag es gut oder schlecht gelaufen sein. Einige Prominenz vorausgesetzt, wird es auch nicht vergessen: Ein anderer holt es ins Dasein zurück.

Jedes Leben ist ein Exempel, mag es gut oder schlecht gelaufen sein. Einige Prominenz vorausgesetzt, wird es auch nicht vergessen: Ein anderer holt es ins Dasein zurück. Prominent zu seiner Zeit war der österreichische Epiker Adalbert Stifter (1805-1868), bis Friedrich Hebbel sein vernichtendes Urteil über ihn fällte. Der andere heißt Arnold Stadler, ebenfalls Schriftsteller. Unter der azurnen, von Monstren belebten Decke im Obergeschoss der Buchhandlung Wist präsentierte der süddeutsche Autor am Dienstag mit „Mein Stifter“ auch sein Verhältnis zum wahlverwandten Ahnen, dessen Werke er schon in sehr jungen Jahren las. Er sei einer seiner Lebensgefährten geworden. Carsten Wist seinerseits fühlte sich durch die „Schreibmusik“ des Büchnerpreis-Trägers von 1999 in Stifter „ertrunken und versunken“: „Das ist wirklich Literatur!“ Recht hat er, aber wer gedachte schon seines 200. Geburtstages im vorigen Monat?

Fünf der damals noch seltenen Fotografien regten den studierten Germanisten zu seiner kritischen Eloge („keine Biographie!“) an, und so begann er die etwas umschweifige Lesung auch phänomenologisch: Der im böhmischen Oberplan geborene Prosaist war die Leiblichkeit selber. Bis zu sieben Forellen naschte er als Vorspeise, er rauchte exzessiv Zigarren, trank viel „Geistiges“, handelte mit Aktien und bemühte das Lotteriespiel. Er war Dichter und Maler, Konservator und Inspektor oberösterreichischer Volksschulen, mithin ein Mann des Maßes und der Tugend, was sich allerdings in seinem dickleibigen Werk („Nachsommer“, „Witiko“) eher zeigte als im eigenen Leben. Mit seiner Gattin Amalie stritt er oft, doch nachdem er sie floh, schrieb er ihr die allerschönsten Liebesbriefe. An ihrer Seite einsam, die Kakteensammlung pflegend, starb er nach einem dritten Suizidversuch in Linz. Seine letzten Worte galten Einfachheit, Halt und Bedeutung, sie aber lebte von seinem Nachruhm bequem.

Stadler nähert sich dieser „monströsen“ Gestalt in einem Gegenwart reflektierenden Verhältnis, wo die Monroe genauso Platz hat wie Dachau. Vor allem aber der Mittler zwischen Stifter und ihm – Thomas Bernhard: Wie Hebbel („wer ‚Nachsommer’ zu Ende liest, dem gebe ich die Krone von Polen“) 1857, so fällte auch der Untergeher in „Alte Meister“ ein vernichtendes Urteil. Er hat ihn wohl sehr geliebt. Es ist überliefert, dass der schrotige „Holzfäller“ sogar den österreichischen Stifter-Preis begehrte, ohne ihn zu bekommen, Strafe muss sein. Rechtens sieht Stadler eine Parallele beider Leben.

Dem „exotischen“ Prosaiker alten Stils bekundete er „eine ungeheure Sehnsucht“ bei seinen Weltbeschreibungen, zu denen die berühmten Landschaftsschilderungen zählten. Eigentlich habe er immer „das Leben eines Selbstmörders“ geführt. Sein Dasein sei Unglück gewesen, eben deshalb beschrieb er in „Nachsommer“ seine Vision von Glück. „Ein entsprechendes Leben dazu gab es nicht“. Wist darauf: „Es ist wohl ein Luxus, so aus der Zeit zu sein“. Ein letztes Foto zeigt Adalbert Stifter verschlankt (was er „hungern“ nannte) – das Jammerbild eines sterblichen Menschen, der trotz tötenden Rasiermessers eigentlich „bleiben“ wollte, nur noch „Erinnerung an das Leben“. Stifter – Bernhard – Stadler - Welch ein Exempel de tri!

Gerold Paul

Gerold Paul

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