zum Hauptinhalt

Kultur: Plädoyer für die Phantasie

Umjubeltes Ein-Mann-Theater mit Mozarts „Zauberflöte“ im Nikolaisaal

Umjubeltes Ein-Mann-Theater mit Mozarts „Zauberflöte“ im Nikolaisaal „Wir haben keine Vorhänge, keine Bühnenbilder, keine Kostüme, keine Sänger“, klagt ein frackgekleideter älterer Herr. Larmoyant seufzt er weiter: „Ich muss sieben Rollen spielen. Kann mir nicht jemand die Königin der Nacht abnehmen?“ Ein kleines Mädchen im Zuschauerraum hebt zaghaft ihr Händchen. Später darf sie als diesbezügliche Statistin auf die „Bühne“ des Nikolaisaals, um „Die kleine Zauberflöte“ nach Mozart personell zu verstärken. Andere Steppkes werden als personifizierte wilde Tiere zu sehen sein. Der Funke ins Parkett hat gezündet. Lutz Lansemann, Sprecher, Geschichtenerzähler, Sänger und Tänzer, hat eine umwerfend komische, direkte und charmante Art, Kinder jeden Alters und Erwachsene in seinen Bann zu ziehen: Er wickelt sie ein und um den Finger. Keiner kann ihm widerstehen. Der Saal wird zum Tummelplatz der Gefühle. Trotz der fehlenden Theaterzutaten ist Lansemann als Maitre de plaisir frohen Mutes: „Wir haben die Musik und unsere Phantasie!“ Seinem Plädoyer für Vorstellungskraft und Erfindungsgabe folgt sogleich die eingebungsstarke Tat. Das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt hat die „Bühne“ okkupiert, gibt sich unter Leitung Frank Strobels mit Freude neben dem Musizieren auch dem Schau-Spiel hin. Gleich dem Musketier-Motto „Einer für alle, alle für einen“ nimmt der Feldversuch für Einfallsreichtum seinen mitunter sehr spontanen Verlauf. Zur (eingekürzten) Ouvertüre spielt und spricht Lansemann die Vorgeschichte des Märchens von der Zauberflöte. Ohne äußere Hilfsmittel entführt er die Lauschenden ins blühende Land der Phantasien. Er formt Worte zu lebendigen Gebilden. Er sagt die Szenenanweisungen auf – und lässt Berge, Wälder, Felsen und Schluchten entstehen. Er spricht Dialoge, bei denen einem spontan das Lachen ankommt. Und er singt. Allerdings mehr im deklamatorischen Sprechgesang. Sein baritonaler Tonumfang beträgt eventuell vier bis fünf Töne. Wie damit der bis zum dreigestrichenen „f“ hinaufkletternden Königin der Nacht oder dem im Basskeller nach dem tiefen „A“ grabenden Sarastro entsprechen? Indem er seine Mängel nicht kaschiert, sondern sie ungeschönt vorzeigt. Da entlarven sich die Koloraturen der Königin der Nacht als das, was sie eigentlich sind: verführungsgrandiose Umgarnungen von Tochter Pamina und Prinz Tamino. Diesem verweigert der Imaginator mangels entsprechenden Vermögens jeglichen Tenorglanz - und versteht es dennoch, Paminens Zukünftigen als ein prägnantes Mannsbild zu gestalten. Köstlich das Solo-Duett „Pa-pa-pa“, bei dem man Papageno und Papagena vor sich zu sehen glaubt. Gegenüber seinen Sangeskünsten ist die legendäre Florence Foster-Jenkins die reinste Primadonna gewesen. Was soll“s, wenn er dafür treffliche Charaktere auf die imaginäre Szene zaubert! Doch bei allem Spaß an der Freude sei die Frage gestattet, ob sich der Witz des Gebotenen nicht vor allem denjenigen einstellt, die die Oper kennen und aus modern gefassten textlichen Andeutungen sowie dem Erkennen von Musikzitaten entsprechende Zwerchfellschlüsse ziehen können?! Die Erwachsenen können assoziieren, was musikalisch auf ein nicht immer zu goutierendes Konzentrat eingedampft ist. Die Kleinen tangiert das nicht. Sie bekommen was zum Sehen und Mitmachen. Das reizt ihre Sinne, die das Genossene und heftig Beklatschte auf der „Festplatte“ abspeichern, für künftigen (Besuchs-)Gebrauch hoffentlich wieder aufrufen. Ein Teil der Kinder ist jedoch viel zu klein, um dem Spiel, geschweige denn den geistigen Anforderungen des Sujets folgen zu können. Ergo stören sie die anderen durch ihr Quengeln und Quatschen. Doch der Versuch, den Nachwuchs für ein anspruchsvolles Stück märchenhaften Musiktheaters zu begeistern, ist über alle Zweifel erhaben. Fortsetzung erwünscht. Peter Buske

Peter Buske

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false