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Potsdam-Mittelmark: „Die Platte ist besser als ihr Ruf“

Der Architekt Helmut Will, der das Michendorfer Gymnasium modernisiert, ist der Vater des Plattenbaus im Bezirk Potsdam. Den Michendorfer „Schultyp Erfurt“ kennt er wie aus seiner Westentasche

Der Architekt Helmut Will, der das Michendorfer Gymnasium modernisiert, ist der Vater des Plattenbaus im Bezirk Potsdam. Den Michendorfer „Schultyp Erfurt“ kennt er wie aus seiner Westentasche Von Karsten Sawalski Michendorf. Der „Typ Erfurt“ soll Ende 2005 nicht mehr zu erkennen sein. Das ist das Ziel der beiden Architekten Helmut Will (62) und Bernd Messner (36) vom Potsdamer Architekturbüro Dr. Will & Partner GbR. Wenn die Schüler in Michendorf endlich das sanierte Gymnasium am Wolkenberg in „Besitz“ nehmen, soll weder von außen noch innen etwas an die typisierte Plattenbauweise der DDR erinnern. Räume und Flure sind dann groß genug, um heutige Klassenstärken aufzunehmen, vor den großzügigen Fensterflächen sorgen im Sommer installierte Sonnenkragen für Schatten. Und in dem schneckenförmigen Anbau gibt es dann wohl auch etwas Schmackhafteres, als es die Bezeichnung „Schülerspeisung“ vermuten lässt. Mit der komplizierten Statik des Gymnasiums kennt sich Architekt Will bestens aus. Der Potsdamer Baumeister hat den ehemaligen Plattenbau planerisch mit entworfen. Die Schule am Wolkenberg entspricht dem Typ Erfurt, der in der zweiten Hälfte der 60er Jahre entwickelt wurde. Von den Vorzügen dieser vorgefertigten Industriebauweise ist der freischaffende Architekt heute wie damals überzeugt: „Für öffentliche Bauten waren die Kosten wesentlich geringer als bei einer individuellen Bauweise.“ So wurde „Erfurt“ nicht nur für Schulen verwendet, sondern auch für Bildungseinrichtungen wie zum Beispiel der Schwesternschule des Potsdamer Bezirkskrankenhauses. Will war als junger Mann Abteilungsleiter im Wohnungsbaukombinat WBK Potsdam und verantwortlich für den Bereich Forschung und Entwicklung. „Es gibt wohl kaum einen Plattenbau im ehemaligen Bezirk Potsdam, bei dem ich nicht meine Hand im Spiel hatte“, gesteht er. Dies betraf nicht nur Wohnungen: Die so genannte „Kiko“ stammt ebenfalls aus seiner planerischen Feder. Kikos hießen die typisierten Kindergarten-Neubauten der DDR. Anfang der 70er Jahre war es dann Wills Aufgabe, im Bezirk Potsdam den Gebäudetyp „TS 69“ einzuführen und den Anforderungen anzupassen. Weil die Entwicklung aus dem WBK Erfurt stammte, wurde sie von Rostock bis Zittau als „Schultyp Erfurt“ bekannt. Alle Bauteile, das gesamte Produktionssortiment mussten im WBK Potsdam vorbereitet werden können. Dafür war Will zuständig. Die Bezirksbau-Mechanik in der Potsdamer Zeppelinstraße sorgte für den Stahlbau, während im Betonwerk Zernsdorf die Platten gegossen wurden, erinnert er sich. Nur wenige werden sich mit der „Erfurt“-Platte noch so gut auskennen wie Will: Jede „Platte“, ist rechteckig, exakt 1,20 Meter breit, 3 Meter hoch und nach über 30 Jahren immer noch im guten Zustand, weiß er. Und darin ist sich Will mit seinem Kollegen Messner – einem „Westimport“ aus Baden-Württemberg einig: Die Qualität stimmt. „Die Betongüte ist immer noch in Ordnung“, sagt Messner. „Die Platte ist besser als ihr Ruf“, ergänzt Will und erzählt, dass bis 1973 „gutes Material“ auf den Baustellen der DDR verwendet worden sei. Die Energiekrise habe danach allerdings in Ost- wie in Westdeutschland dazu geführt, dass die Qualität des Zements nachließ. Weil das Brennen des Baustoffes zu hohe Energiekosten verursachte, seien als Ersatz chemische Zusätze beigemengt worden. Als Architekt der „Entwicklungsbrigade“ hat sich Will damals genauso an schulpolitischen Leitlinien orientieren müssen wie heute, erklärt der Potsdamer, „nur die Klassen waren damals kleiner“. Die Grundidee des Plattenbaus: So einfach und so günstig wie möglich zu bauen. „Da wurde alles stringent durchkalkuliert“, erinnert sich Will, „von der Arbeitszeit bis zum Zement“. Der Typ Erfurt stand für die zweite Phase der vorgefertigten Industriebauweise. Den Beginn des Plattenbaus in der DDR datiert der Potsdamer Architekt an das Ende der 50er Jahre: Bei der „Blockbauweise“ wurden zwei Elemente übereinander montiert und von einem Ringanker, wie mit einem Gürtel, zusammen gehalten. Davon profitierte zunächst vor allem der Wohnungsbau, für den Ende der 60er Jahre komplette Räume als Platten „gegossen“ wurden. Das System wurde immer weiter perfektioniert: Das Sortiment für den Bau von Wohnungen wurde, so Will, auf bis zu 260 Bauteile erweitert. Die Schulbaureihe SBR 80, eine Weiterentwicklung des TS 69, markiert die letzte Weiterentwicklung des DDR-Plattenbaus. Der wichtigste Unterschied zum früheren Schultyp Erfurt: Die Platten waren größer, an ihren Außenflächen vorbehandelt und mussten nicht mehr verputzt werden. In Michendorf handelt es sich um einen der frühen „Erfurt“-Bauten des Bezirks, so Will. Nicht nur die Güte der Betonplatten sprach dafür, die DDR-Altlast im Zuge der Sanierung im Kern zu erhalten. Ein Abriss und ein neuer Rohbau wäre auch teurer gewesen als das „recyclen“ der alten Bausubstanz. Einfach sei eine Plattenbausanierung allerdings nicht zu bewerkstelligen: Wenn ein Treppenhaus aus dem Gebäude entfernt werden muss, kann es sogar recht gefährlich werden. „Da kann die Statik ins Wanken geraten“, sagt Architekt Messner, „weil es hier keine festen ausgleichenden Verbindungen gibt, wie beim Stein-auf Stein-Bau“. Auf der Baustelle am Wolkenberg mussten Teile des Gebäudes deshalb schon in manchen Bauphasen abgestützt werden. Der ältere und der junge Architekt sitzen vor dem Bauplan und erläutern das Umbau-Konzept: „Die Schüler bewegen sich zwischen einem schulischen Bereich, in dem rechteckige Formen bestimmend sind, und dem Freizeitbereich, in dem die Rundungen vorherrschen“, erklärt Will. Das Runde führt zum Eckigen und umgekehrt. Es scheint sicher: Mit einem Plattenbau wird das modernisierte Michendorfer Gymnasium wohl nur noch von Bauhistorikern in Zusammenhang gebracht werden.

Karsten Sawalski

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