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Interview: "Jeder muss netto mehr haben"

Die Arbeitnehmer müssen mehr Geld zur Verfügung haben, fordert Anton Börner, Präsident des Außenhandelsverbandes. Zahlen sollen dafür aber nicht etwa die Arbeitgeber. Im Gespräch mit dem Tagesspiegel redet er über Rezessionsgefahren und die ruhige Hand der Regierung.

Herr Börner, wie bedrohlich ist die Rezessionsgefahr in den USA?

Rezession bedeutet in Amerika, dass mindestens zwei Quartale lang kein Wachstum da ist. Wenn Sie in Deutschland das Wort Rezession in den Mund nehmen, ist das gleich eine Katastrophe. Dafür hätte man in Amerika das Wort Depression. Das muss man auseinanderhalten. Eine Rezession in den USA ist möglich, aber nicht dramatisch. Die Weltwirtschaft wird sich leicht abschwächen. Aber der Aufschwung ist nicht vorbei.

Aber kaufen die Amerikaner nicht weniger chinesische Konsumgüter und die Chinesen dann weniger deutsche Maschinen?

Natürlich merken wir das. Deswegen werden ja auch die Erwartungen nach unten korrigiert. Der Export wird in diesem Jahr vielleicht noch um fünf Prozent zunehmen. Das wäre unter unserem langjährigen Durchschnitt, aber kein Grund für Panik. Wir haben gute Produkte, sind stark in Schlüsselbranchen und verfügen über gute Mitarbeiter.

Wie sehen Sie angesichts dieser Lage die aktuellen Tarifforderungen?

Jeder will viel verdienen, und am besten immer mehr. Tatsache ist, dass Lohnsteigerungen, die über die Produktivitätszuwächse hinausgehen, Arbeitsplätze vernichten. Wir zahlen gerade im Bereich einfacher Arbeit höhere Löhne, als dort erwirtschaftet werden. Deswegen finden geringqualifizierte Menschen tendenziell keinen Arbeitsplatz mehr. Die hohen Löhne führen dazu, dass diese Arbeitsplätze wegrationalisiert oder verlagert werden müssen. Dieser Trend geht leider weiter. Ich befürchte, dass die Arbeitslosigkeit bald wieder steigen wird.

Wieder fünf Millionen Arbeitslose?

Das ist meine Sorge. Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt wird nicht von Dauer sein, wenn das Wachstum wieder nachlässt und weitere Reformen ausbleiben. Dann sind wir 2010 oder 2011 da, wo wir vor drei Jahren waren. Wahrscheinlich steigt die Arbeitslosigkeit noch höher. Das ist der Trend. Schauen Sie sich die Statistik seit 1948 an. In 60 Jahren hat unsere Gesellschaft nichts gelernt.

Aber für Arbeitnehmer stellt sich das anders da. Irgendwann muss es doch mal wieder mehr Geld geben.

Diesen Einwand kann ich verstehen. Aber zu kräftige Lohnerhöhungen gehen doch am Ende auf Kosten der Schwächsten der Gesellschaft, weil dies die Unternehmen zwingt, noch leistungsfähiger zu werden. Die Firmen kommen damit einigermaßen zurecht, weil sie an mehreren Stellschrauben drehen können, um die gestiegenen Kosten wieder in den Griff zu bekommen. Wir sind heute weltweit aufgestellt. Wir verkaufen unsere Produkte weltweit, aber wir kaufen auch weltweit ein, so dass viele die Löhne in Deutschland nicht so betreffen.

Also alles nicht so schlimm.

Nein. Aber die Politik muss ihre Pflicht tun. Der erwartete Wachstumsrückgang sollte Signal genug sein, den Wachstumsfaktoren mehr Aufmerksamkeit beizumessen. Ich will ein Beispiel nennen: Die Koalition hat eine Neuverschuldung von 30 Milliarden Euro übernommen. Dann hat sie 2007 die Steuern um 50 Milliarden Euro erhöht. Und jetzt haben wir noch eine Neuverschuldung von 14 Milliarden Euro. Was passiert mit dem Geld?

Und?

Der Staat wirtschaftet völlig ineffizient. Unter dem Eindruck der guten Konjunktur wird das Füllhorn herausgeholt, um vermeintlich soziale Wohltaten zu verstreuen. Die Bürger hätten mehr davon, stärker in Know-how, in Betriebe und in die Infrastruktur zu investieren. Jetzt sind wir bei den Lohnnebenkosten gerade unter 40 Prozent. Aber das hält nur bis Juli. Dann sind wir mit der Pflegeversicherung wieder drüber, und über steigende Krankenkassenbeiträge haben wir noch gar nicht geredet. Oder nehmen Sie das Steuersystem. Die Unternehmensteuerreform war überfällig, aber sie hilft in erster Linie den großen Kapitalgesellschaften. Das ist wichtig, aber wir bräuchten niedrigere Steuern für alle. Dieser Ansatz ist leider bei der letzten Bundestagswahl kaputtgegangen. Jeder muss netto mehr haben. Dann brauchen wir auch brutto nicht so hohe Lohnforderungen.

Geht das ohne neue Schulden?

Natürlich geht das, und selbst wenn sich die Verschuldung vorübergehend erhöht. Eine große Steuerreform ist möglich. Das lässt sich rechnen. Aber sie ist politisch nicht gewollt.

Dann fällt Ihr Urteil über die große Koalition schlecht aus?

Ich tue mich da sehr schwer. Die große Koalition hat mit der Weltwirtschaft enormes Glück gehabt und bislang nicht viel kaputt gemacht. Ihre größte Leistung ist, dass die Leute denken, dass es wieder ganz gut läuft. Und das tut es ja auch. Die große Koalition beruhigt, und das entspricht der deutschen Mentalität. Aber es war die Agenda 2010 der Schröder-Regierung, die mit den Boden bereitet hat, dessen Früchte wir heute ernten. Wenn der Aufschwung nachlässt, werden wir mit der Konsenspolitik der großen Koalition nicht weit kommen. Da müssen wir zu Reformen zurückkehren.

War Gerhard Schröder besser als Angela Merkel?

Das kann man nicht vergleichen. Er hatte eine andere Konstellation. Er hatte das Gefühl, die ganze Firma Deutschland schmiert ab. Ihm blieb nichts anderes übrig. Angela Merkel steht einer großen Koalition vor und muss ihre Leute zusammenhalten. Das macht sie gut. Mit einem Riesentanker kann man kein Schnellbootrennen fahren.

Welche Ziele muss der Tanker bis zur Bundestagswahl im nächsten Jahr erreichen?

Wenn die Weltwirtschaft mitspielt: So wenig ändern wie möglich. Die Regierung soll es laufen lassen, wie es ist. Die große Koalition ist zu Reformen unfähig. Da kommt nichts mehr. Was anderes ist es, wenn die Konjunktur in große Schwierigkeiten kommt. Dann müssen wir gegensteuern und die Binnennachfrage stärken: Steuern und Abgaben für alle runter, Arbeitsmarkt flexibilisieren.

Wie wahrscheinlich sind die Szenarien?

65 Prozent, dass es moderat aufwärtsgeht. Und 35 Prozent, dass es abwärtsgeht. Stand heute.

Das Gespräch führte Moritz Döbler.

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