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Die Räumung des Protestcamps an der FU durch die Polizei.

© Christoph Papenhausen

Update

Streit um Räumung der FU Berlin: Staatsrechtler sieht Versammlungsrecht gefährdet

Im Umgang mit Protesten für Palästina und gegen den Gaza-Krieg mahnen Professoren die Wahrung der Grundrechte an. Die FU-Räumung sei wahrscheinlich nicht rechtens gewesen sein, sagt ein Staatsrechtler.

| Update:

Nach der polizeilichen Räumung des Protestcamps an der Freien Universität Berlin am 7. Mai wird aus der Wissenschaft weitere Kritik an dem Vorgehen laut. Angesichts des Polizeiberichts zum Ablauf Protests liege eine Missachtung der Versammlungsfreiheit nahe, sagte Clemens Arzt, Experte für Polizei- und Versammlungsrecht am Dienstag in der Bundespressekonferenz.

Arzt, der an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht eine Professur für Staats- und Verwaltungsrecht innehat, sprach mit dem Historiker und Holocaustforscher Michael Wildt, der Direktorin Moses-Mendelssohn-Zentrums Miriam Rürup und Michael Barenboim, dem Dekan der Barenboim-Said-Akademie vor der Presse zum Umgang mit Protesten an Hochschulen gegen den Krieg in Gaza. Die drei mahnten eine Wahrung der Grundrechte in der aufgeheizten Lage an und betonten die Legitimität von Studierendenprotesten, die auf den Gaza-Krieg und Menschenrechtsverletzungen in den von Israel besetzten Gebieten aufmerksam machen.

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Arzt nannte mehrere Einwände gegen die Begründung der FU, sie habe zur Sicherung des Lehrbetriebs und Sicherheit der Studierenden das Camp räumen lassen. Der Theaterhof, auf dem das Camp errichtet wurde, sei frei und ohne Abgrenzung zugänglich, erklärte Arzt, und verwies auf das „Fraport-Urteil“.

Rechtsexperte sieht keine strafrechtlichen Anhaltspunkte

Dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zufolge gilt öffentliches Straßenland als Ort, in dem Versammlungsfreiheit geschützt ist. Auch seien alle Räume in der Rost- und Silberlaube „ohne Nutzung des Hofes“ zu erreichen, man habe sie, vor der Räumung und Eskalation der Lage, ungestört weiter nutzen können.

Auch sieht der HWR-Professor, der dort nach eigenen Angaben seit 24 Jahren Polizist:innen ausbildet, im Polizeibericht bei der Beschreibung von Form und Slogans des Protests keine strafrechtlichen Anhaltspunkte für eine Auflösung der Versammlung.

Im Bericht heißt es über die Protestierenden: „Diese trugen unter anderem Palästina-Tücher, hielten Transparente hoch und skandierten zum Teil pro-palästinensische Sprechchöre.“ Und weiter, es seien Zelte und Pavillons aufgebaut worden. Gegen 12.20 Uhr legte die FU, die die Polizei schon alarmiert hatte, ein Räumungsbegehren und einen Strafantrag vor. Eine fehlende Dialogbereitschaft der Protestierenden, wie FU-Präsident Günter M. Ziegler in den Medien argumentierte, oder „aggressive Parolen“ könnten kein Grund sein, Versammlungsfreiheit einzuschränken, so Arzt weiter: „Versammlungsfreiheit ist das Recht auf Dissens, auf abweichende Meinung.“

Uni könne die Räumung nicht anordnen

Der Staatsrechtler bemängelte auch die FU-Mitteilung, die Uni selbst habe sich zur Räumung entschieden. Das sei im Ermessen der Polizei-Einsatzleitung, könne also nicht von der Uni angeordnet und dann „exekutiert“ werden. Arzt lobte die Berliner Polizei als „exzellent“, in diesem Fall aber habe die Einsatzleitung versagt. Arzt verwies auch auf eine Entscheidung des Münchner Verwaltungsgerichts vom 13. Mai, nach der ein Protestcamp gegen den Gaza-Krieg vor der Ludwigs-Maximilian-Universität in München stehen bleiben darf.

Die Runde sprach sich für einen differenzierteren Umgang mit der deutschen Staaträson einer Loyalität gegenüber Israel aus. Rürup und Wildt nannten zudem positive Beispiele einer akademischen Auseinandersetzung mit dem Nahostkonflikt, auch direkt zwischen muslimischen und jüdischen Studierenden.

Warnung vor einem „autoritären Staatsverständnis“

„Wir müssen alles tun, um Spannungen zu deeskalieren“, sagte Wildt. Viele Hochschullehrer sähen mit Sorge, dass der Konflikt öffentlich nicht mehr diskutiert werde, ohne dabei zu „polarisieren, emotionalisieren und pauschalisieren“. Der emeritierte NS-Historiker lobte, wie die TU Berlin vergangene Woche auf einen Palästina-Protest vor der Uni reagierte. Neben Seminaren zur Geschichte des Konflikts brauche es gegen Antisemitismus „Awarenessteams und Task Forces bei den Unileitungen“ sowie Anlaufstellen und Beauftragte. „Wer jetzt vor allem repressive Maßnahmen fordert, ebnet einem autoritären Staatsverständnis den Weg“, so Wildt.

Historische Verantwortung gelte auch für Palästinenser

Der Historiker sagte auch, er stehe im Austausch mit jüdischen Studierenden und dass sich diese nach dem 7. Oktober alleingelassen gefühlt hätten – „die Unis sollten das kritisch aufarbeiten“.

Michael Barenboim, Sohn des israelischen Dirigenten Daniel Barenboim und Mitglied im „West-Eastern Divan Orchestra“, sprach seine Unterstützung für Proteste gegen den Gaza-Krieg und für die Menschenrechte von Palästinensern aus. Angesichts von zerstörten „Schulen, Universitäten, Moscheen und Kirchen“ und anhaltenden Leids stehe für ihn fest: „Die Studierenden haben nicht nur das Recht zu protestieren, sondern sie haben recht, zu protestieren.“ In Bezug auf die Staatsräson sagte Barenboim: „Man kann nicht zu Israel als Idee stehen und gleichzeitig die Besatzung rechtfertigen.“

Die historische Verantwortung, die Deutschland nach dem Holocaust gegenüber Israel habe, betreffe genauso die Palästinenser, sagte auch Rürup. „Diese erweiterte Verantwortung sollte man mehr in den Blick nehmen, wenn man von Staatsräson spricht.“ Mit Blick auf den Wählerzuwachs der AfD und den Wahlen im Osten mahnte die Professorin für jüdische und europäische Studien an der Uni Potsdam an, Grundrechte zu wahren. „Rechte Talking Points zu übernehmen, würde denen am wenigsten helfen, die sie eigentlich schützen sollen“ – Jüdinnen und Juden.

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