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Kultur: Bass erstaunt

Wie ich lernte, ein unterschätztes Instrument zu lieben:  Drei Tage als Juror eines Hochschulwettbewerbs. Ein Erfahrungsbericht.

Kann man sich in den Kontrabass verlieben? Nicht in eine Spielerin oder einen Spieler, sondern in das Instrument selbst, den tiefsten Vertreter der Streicherfamilie? Ein Instrument, über das viel Böses gesagt wird: Schwerfällig soll es sein, sperrig, unhandlich, ein täppischer Brummelbass eben. Im schnellen Spiel, liest man in „Riemanns Handbuch der Instrumente“, „behält der Lauf so tiefer Töne immer etwas Groteskes“. Die brutalste Charakterisierung aber findet sich bei Patrick Süskind in seinem 1980 entstandenen Ein-Mann-Theaterstück „Der Kontrabass“: „Er sieht aus wie ein fettes altes Weib. Die Hüfte zu tief, die Taille total verunglückt; und dann diese schmale, hängende, rachitische Schulterpartie – zum Wahnsinnig werden.“

Kein Wunder, dass die Bässe im Orchester ganz nach hinten verbannt sind. Als Sisyphusse des Musikbetriebs verrichten sie ihre Arbeit, liefern das Fundament, nie die Fassade der Sinfonik – und wenn der Dirigent beim Schlussapplaus sein Ensemble auffordert, sich zu erheben, „dann kann man noch nicht einmal ordentlich aufstehen“, seufzt Süskinds Protagonist – weil die Kontrabassisten sowieso schon den ganzen Abend auf Hochstühlen hocken, das eine Bein angewinkelt, das andere ausgestreckt.

Lässt man ihn einmal aus dem Schatten des Orchesterdaseins heraustreten, rückt er als Solist ins Zentrum der Aufmerksamkeit, dann offenbart der Bass seine wahren Qualitäten: Dieses Trumm ist nicht nur ein hervorragender Sänger, mit fast fünf Oktaven Stimmumfang, vom urgewaltigen Grummeln, das in den Brustkorb fährt, bis hinauf zum flötenden Flageolett, sondern auch das körperlichste, ja erotischste aller Instrumente. Man vergleiche nur die verquetschte Körperhaltung der Geiger, schaue den Harfenistinnen zu, wie sie die Saiten kaum kitzeln. Bläser brauchen gespitzte Lippen, Perkussionisten schlagen zu. Ähnlich engen Körperkontakt gibt es nur noch beim Cello. Doch während dort stets der Spieler als Dominierender auftritt, wenn er das Cello zwischen die Schenkel klemmt, bleiben die Machtverhältnisse beim Kontrabass prickelnd in der Schwebe. Er kann großer Bruder sein oder hoch gewachsener Lover. Stets überragt er die Musiker um Haupteslänge, die sich ans Holz schmiegen, den Korpus umarmen, das Instrument an ihrer Seite tanzen lassen. Ein echter Hingucker.

Beim Felix-Mendelssohn-Bartholdy- Hochschulwettbewerb an der Berliner Universität der Künste sind im Turnus der Wettbewerbsfächer diesmal die tiefsten Streicher dran, neben Sängern und den Ensembles für Neue Musik. Die Besten der deutschen Musikhochschulen treten an, es geht um hohe Preisgelder und nachhaltige Förderungen wie Konzertauftritte und CD-Produktionen. 23 mutige Kontrabassisten waren angemeldet, wegen des nasskalten Wetters und der Dienstpläne der Orchester, in denen Studenten gerne aushelfen, ist die Zahl zum Wettbewerbsstart am Mittwoch auf 16 zusammengeschnurrt. Drei Frauen sind darunter, fünf Teilnehmer haben einen deutschen respektive südkoreanischen Pass, die anderen wurden in Polen, Rumänien, Japan, China, Brasilien oder den Niederlanden geboren. Peter Riegelbauer, Orchestervorstand der Berliner Philharmoniker, leitet die Jury, sein Kollege Matthew MacDonald ist dabei, die vier Professoren Nabil Shehata (München), Christoph Schmidt (Frankfurt), Dorin Marc (Nürnberg) und Matthias Weber (Stuttgart). Und – gemäß dem Brauch, einen Fachfremden einzuladen – ein Klassikkritiker vom Tagesspiegel. Meine Rolle ist der „Hausfrauentest“: Ich bewerte die Kandidaten nicht aus der Lehrersicht, sondern achte auf die Gesamtwirkung des Auftritts, lasse mich verführen oder langweile mich, als stellvertretendes Ohr und Auge des Publikums.

Ein eisenhartes Programm müssen die 19 bis 27 Jahre jungen Musiker absolvieren: 30 Minuten in der ersten Runde, 40 in der zweiten. 16 Mal werden wir Hindemiths Sonate hören, 16 Mal ein „Traumstück“ von Jan Müller-Wieland, extra für den Wettbewerb komponiert. Dazu je einen Satz aus einer der Cellosuiten von Bach und im Wechsel Kontrabasskonzerte von zwei Kleinmeistern des späten 18. Jahrhunderts, Carl Ditters von Dittersdorf und Johann Baptist Vanhal. Im Finale spielen sechs Teilnehmer ein Solowerk von Hans Werner Henze, das leidenschaftliche f-Moll Kontrabasskonzert des Dirigenten Sergej Kussewitzki von 1902 sowie das romantische Konzert von Giovanni Bottesini, das auch beim Abschlussabend auf dem Programm steht.

Die Delinquenten schwitzen, die Professoren runzeln die Stirn. Das Repertoire an Originalkompositionen ist winzig, sie haben die Werke hunderte Male gehört. Der Kritiker aber öffnet sein Herz für ein unterschätztes Instrument. Erste Erkenntnis: Größe ist nicht entscheidend. Auch die zierlichste Frau kann Kontrabass spielen. Weil es keine festgelegte Korpusgröße gibt, von 104 bis 110 Zentimetern ist alles erlaubt. Und weil es beim Herunterdrücken der Saiten nicht um Kraft geht, sondern um Technik. Kontrabassisten haben zwar Hornhaut an den Fingern, aber keine Bauarbeiterpranken. Mittlerweile gibt es in den Hochschulklassen so viele Frauen wie Männer. In den seltensten Fällen ist der Kontrabass ihre erste Liebe. Die meisten beginnen mit Klavier oder Streichinstrumenten und schwenken dann um. Die Coolsten haben zuerst E-Bass gespielt.

Zweite Erkenntnis: Jeder muss nach seiner Façon selig werden. Musikgeschichtlich ist der Kontrabass ein Zwitter aus Violine und Gambe, kein anderes Instrument existiert heute in so vielen verschiedenen Bauvarianten, es gibt die Stimmung in Quarten, aber auch in Quinten, je nach Anlass werden Vier- und Fünfsaiter verwendet, wer bei Spielen sitzen möchte, der sitzt, wer stehen möchte, steht.

Dritte Erkenntnis: Der Weg ist das Ziel. Verglichen mit Geigenkollegen müssen die Kontrabassisten bei virtuosen Stücken mit der linken Hand derart auf dem Griffbrett hin und her flitzen, dass man ihnen Kilometergeld zahlen sollte. A propos: Die Transportfrage, sagen Jurymitglieder, ist ein Horror. Bevor Kopfstützen Pflicht wurden, passte der Bass auch in den Käfer, heute braucht man einen Kombi. Mit Kofferkiste wiegt das Ding 33 Kilo – und lässt sich bei vielen Fluggesellschaften nur mit Mühe in den Laderaum diskutieren. Wählt man die gepolsterte Transporthülle, muss man in Bahn und Bus höllisch aufpassen, dass kein Malheur passiert. Dafür kann man sie notfalls als Schlafsack verwenden.

Nach drei intensiven Tagen steht Michael Karg von der Nürnberger Musikhochschule als Sieger fest, ganz knapp vor seinem fränkischen Kommilitonen Razvan Popsecu. Über den dritten Preis kann sich die Koreanerin Jee Eun Seo freuen. Und der Beobachter weiß jetzt, was Patrick Süskinds Protagonist meint, wenn er sagt: „Das Kontrabass ist das zentrale Orchesterinstrument. Im Grunde weiß das auch jeder. Es gibt bloß keiner offen zu.“

Abschlusskonzert am heutigen Sonntag, 19 Uhr, im UdK-Saal, Hardenbergstraße

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