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Licht im Dunkel: „Nathan der Weise“ im Techno-Stil.

© Monika Rittershaus

Eine Dystopie für Nahost: Das Theatertreffen eröffnet mit „Nathan der Weise“

Gewaltiger Auftakt: Ulrich Rasches Lessing-Inszenierung rechnet ab mit religiösem Fanatismus und mit dem Mythos der Aufklärung.

Anders als bei der Berlinale, wo schwache Eröffnungsfilme Tradition haben, beginnt das Berliner Theatertreffen oft kraftvoll. Es gab Jahrgänge, da war der Auftakt schon das beste Stück der zehn „bemerkenswerten Inszenierungen“. Wie sich die kommenden zwei Wochen auch entwickeln: An diesen ersten Abend wird man sich erinnern.

„Nathan der Weise“ in der Regie von Ulrich Rasche hatte im vergangenen Sommer bei den Salzburger Festspielen Premiere: ein technisch höchst aufwändiges und mit knapp vier Stunden Spieldauer herausforderndes Werk: Von Rasche, einem Extremsportler des Theaters, kann man das erwarten. Nun ist seiner Lessing-Inszenierung mit dem Terrorangriff der Hamas und der israelischen Offensive in Gaza eine „erschreckende Aktualität“ zugefallen, wie Kulturstaatsministerin Claudia Roth in ihrer Ansprache sagte.

Der Jude bleibt zurück

Aber so einfach verhält es sich nicht mit diesem Klassiker, den Generationen aus dem Schulunterricht kennen. „Nathan der Weise“, 1783 in Berlin uraufgeführt, gilt als Hauptwerk deutscher Aufklärung. Das Stück plädiert vordergründig für Toleranz und Verständigung zwischen den Religionen, den Christen, Juden und Muslimen. Alle Menschen werden Brüder und Schwestern – nur Nathan nicht. Lessing lässt ihn bei der großen Familienzusammenführung am Rande stehen. Und still um Hilfe bitten.

Der Jude bleibt der Verlierer in diesem märchenhaften Drama. Die europäische Aufklärung war indes kein Ruhmesblatt. Von Kant kennt man rassistische Formulierungen, und bei Voltaire finden sich antisemitische Vorstellungen schlimmster Sorte. Rasche fügt einige solcher Kostproben in sein Exerzitium ein.

Nein, nichts wird gut. So nicht. Wieder lässt Ulrich Rasche sein Ensemble in ruhigem Schritt über die Drehbühne gleiten. Der Sprechduktus ist gepresst, gesteuert, diese Menschen stehen permanent unter Druck: Tänzer am unsichtbaren Abgrund. Der Boden, den sie zu besitzen und zu beherrschen glauben, gehört zu einem Club der Untoten.

Eine Welt aus Licht

Rasche hat auch die Bühne entworfen. Im Bühnenhimmel hängen drei Kreise, über die turmhohe Raumteiler geführt werden - das erinnert an Lessings Parabel mit den drei Ringen, Symbole der drei Religionen des Buchs. Es ist dunkel. Strahlend hell. Alon Cohen, der Lichtdesigner, schafft Räume aus dem Nichts. Die Akteure in ihren engen Leibchen schreiten durch Lichtvorhänge und Lichtwände, wie aufgezogen kommen sie aus einer Wahnwelt. Glaube ist da durchweg: Aberglaube, hoch explosiv. Religion trennt und bildet Fanatismus aus.

Rasches textnahe Führung gleicht einem Horrortrip. Techno-Tänzerinnen in der Verlangsamung. Treibende Live-Musik, die tiefe Schichten von Furcht und Bedrohungsgefühl anrührt, aber auch sanft sein kann – und im Schluss sakral, süßlich. Dieser Harmonie ist nicht zu trauen.

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In Gedanken und im Gefühl geht man im Kreis mit den Schauspielern. Valery Tscheplanowa prägt den Nathan mit einer Gefasstheit, die kaum auszuhalten ist. Die Ringparabel: bei ihr ein Aufschrei nach Gerechtigkeit. In ihrem Nathan steckt ein Geschichtspessimismus, der von Heiner Müller stammen könnte. Es sind die starken Frauen: Julia Windischbauer als Recha bringt die Ahnungslosigkeit der Tochter, die nicht weiß, wer sie ist, erschütternd eindringlich. Almut Zilcher als Sittah, Schwester des Sultans, blickt durch, hält sich aber mit List und verhaltenem Humor zurück. Den Tempelherrn spielt Mehmet Atesci mit einer Hitze, die Mordlust verrät.

Nein, das ist keine Utopie für Nahost und die Welt. Vielmehr eine Dystopie, in der bestenfalls das Schlimmste vermieden werden kann. Schülerinnen und Schüler von einem Gymnasium in Radebeul sind für die Vorstellung angereist: eine großartige Unterrichtsidee! So lässt sich, wie Nora Hertlein-Hull, die neue Leiterin des Theatertreffens sagt, „ein traditionsreiches Unternehmen in die Zukunft führen.“

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