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Protest gegen Netanjahu in Tel Aviv.

© IMAGO/Eyal Warshavsky

Update

Kritik an Strafgerichtshof : US-Regierung weist Haftbefehlsanträge gegen Netanjahu und Gallant als „empörend“ und „beschämend“ zurück

Nach vorläufigen Ermittlungen zum Kriegsgeschehen in Nahost will Den Haags Chefankläger nicht nur gegen die Hamas vorgehen, sondern auch gegen Israels Premier. Beide Seiten reagieren empört.

Vor dem Hintergrund des anhaltenden Nahost-Kriegs hat der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), Karim Khan, mehrere Haftbefehle beantragt. Sie richten sich gegen Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, dessen Verteidigungsminister Joav Gallant und gegen die Führungsspitze der Terrororganisation Hamas im Gazastreifen, Jihia al-Sinwar, Mohammed Deif und Ismail Haniyeh. Beide Kriegsparteien reagierten am Montag empört auf die Nachricht aus Den Haag.

Auf der Grundlage der gesammelten und geprüften Beweise bestehe „hinreichender Grund zu der Annahme, dass Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Joav Gallant die strafrechtliche Verantwortung für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit tragen“, erklärte das Gericht.

Erst Anfang Mai hatte sich die Anklage des Internationalen Strafgerichtshofs gegen Bedrohungen und Einschüchterungsversuche zur Wehr gesetzt. Alle Versuche, „Mitarbeiter der Anklage zu behindern, einzuschüchtern oder unangemessen zu beeinflussen“, müssten eingestellt werden, forderte die Justizbehörde.

Das Weltstrafgericht und sein Chefankläger Karim Khan waren in den vergangenen Tagen vor allem aus Israel und den USA scharf attackiert worden. Netanjahu hatte die Berichte über einen etwaigen Haftbefehl gegen sich ein „beispielloses antisemitisches Hassverbrechen“ genannt.

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Chefankläger Karim Khan erklärte am Montag in Den Haag, er fordere gegen Netanjahu und Verteidigungsminister Yoav Gallant Haftbefehle wegen Vergehen wie „vorsätzlicher Tötung“ und dem Aushungernlassen von Menschen. 

Wie das Büro Khans am Montag weiter mitteilte, werden die Führer der Hamas wegen Ausrottung, Mordes, Geiselnahme, Vergewaltigung und anderer Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Zusammenhang mit den Terrorangriffen vom 7. Oktober gesucht. Er forderte die Terrororganisation auf, alle israelischen Geiseln umgehend freizulassen und für die „sichere Rückkehr zu ihren Familien“ zu sorgen.

USA weisen Gleichstellung von Israel und Hamas zurück

US-Präsident Joe Biden hat das Vorgehen des Chefanklägers gegen Israel als „empörend“ bezeichnet. Israel und die islamistische Hamas dürften nicht gleichgestellt werden, teilte Biden am Montag mit. Man werde Israel immer bei Bedrohungen gegen die Sicherheit des Landes zur Seite stehen, so Biden weiter.

Ähnlich äußerte sich US-Außenminister Antony Blinken. Dass Haftbefehle für hochrangige israelische Beamte zusammen mit Haftbefehlen für Hamas-Terroristen beantragt worden seien, sei „beschämend“.

Antony Blinken, Außenminister der USA.

© dpa/Brendan Smialowski

„Wir weisen die Gleichsetzung Israels mit der Hamas durch die Anklage zurück“, so Blinken. „Die Hamas ist eine brutale Terrororganisation, die das schlimmste Massaker an Juden seit dem Holocaust verübt hat und noch immer Dutzende von unschuldigen Menschen als Geiseln hält, darunter auch Amerikaner.“

Blinken machte außerdem deutlich, dass die US-Regierung der Auffassung sei, dass das von den USA nicht anerkannte Gericht in diesem Fall nicht zuständig sei.

Auswärtiges Amt in Berlin kritisiert gleichzeitige Antragsstellung

Das gleichzeitige Vorgehen des Chefanklägers beim Internationalen Strafgerichtshof gegen die Hamas und gegen Israel hat nach Einschätzung des Auswärtigen Amts ein falsches Bild entstehen lassen. „Durch die gleichzeitige Beantragung der Haftbefehle gegen die Hamas-Führer auf der einen und die beiden israelischen Amtsträger auf der anderen Seite ist der unzutreffende Eindruck einer Gleichsetzung entstanden“, sagte ein Außenamtssprecher am Pfingstmontag in Berlin. „Jedoch wird das Gericht nun sehr unterschiedliche Sachverhalte zu bewerten haben, die der Chefankläger in seinem Antrag ausführlich dargestellt hat.“

Es ist die erste Äußerung aus der Bundesregierung zu dem Vorgang. Vergleichsweise detailliert weist das Außenamt auf die Verantwortung der islamistischen Terrororganisation Hamas hin: „Die Hamas-Führer verantworten ein barbarisches Massaker, bei dem am 7. Oktober in Israel Männer, Frauen und Kinder auf brutalste Weise gezielt ermordet, vergewaltigt und verschleppt wurden. Die Hamas hält weiterhin israelische Geiseln unter unsäglichen Bedingungen gefangen, greift Israel mit Raketen an und missbraucht die Zivilbevölkerung in Gaza als menschliche Schutzschilde. Zu Israel hieß es: „Die israelische Regierung hat das Recht und die Pflicht, ihre Bevölkerung davor zu schützen und dagegen zu verteidigen. Klar ist, dass dabei das humanitäre Völkerrecht mit all seinen Verpflichtungen gilt.“

Deutschland habe den Internationalen Strafgerichtshof immer unterstützt und respektiere seine Unabhängigkeit und seine Verfahrensabläufe wie die aller anderen internationalen Gerichte. „Dazu gehört, dass die Vorverfahrenskammer nun erst einmal über die Anträge des Chefanklägers auf die Ausstellung von Haftbefehlen zu entscheiden hat. Das Gericht wird dabei eine Reihe schwieriger Fragen zu beantworten haben, einschließlich gerade auch der Frage seiner Zuständigkeit und der Komplementarität von Ermittlungen betroffener Rechtsstaaten, wie es Israel einer ist“, sagte der Sprecher weiter.

Israels Präsident nennt Anträge „mehr als empörend“

Zuvor hat auch der israelische Präsident Itzchak Herzog den Antrag auf Haftbefehl gegen Regierungschef Netanjahu und Verteidigungsminister Galant als „mehr als empörend“ zurückgewiesen.

Israels Präsident Izchak Herzog weist die Anträge zurück.

© dpa/Carsten Koall

Jeder Versuch, Parallelen zwischen den Terroristen der Hamas und der demokratisch gewählten Regierung Israels zu ziehen, könne nicht akzeptiert werden, sagte Herzog am Montag. Chefankläger Karim Khan hatte auch Haftbefehle gegen den Anführer der islamistischen Hamas in Gazastreifen, dessen Stellvertreter sowie gegen den Auslandschef der Hamas beantragt.

Wir werden nicht vergessen, wer diesen Krieg begonnen hat und wer unschuldige Bürger und Familien vergewaltigt, abgeschlachtet, verbrannt, misshandelt und entführt hat“, sagte Herzog mit Blick auf den Gaza-Krieg. „Wir erwarten von allen Führern der freien Welt, dass sie diesen Schritt verurteilen und ihn entschieden ablehnen.“

Außenminister Katz spricht von „skandalösen Entscheidung“

Israel kritisierte die Anträge gegen Netanjahu und Galant ebenfalls scharf. Außenminister Israel Katz sprach von einer „skandalösen Entscheidung“. Diese stelle „einen frontalen, zügellosen Angriff auf die Opfer des 7. Oktober und unsere 128 Geiseln in Gaza“ dar.

„Während die Mörder und Vergewaltiger der Hamas Verbrechen gegen die Menschlichkeit, gegen unsere Brüder und Schwestern begehen, erwähnt der Chefankläger im gleichen Atemzug unseren Ministerpräsidenten und Verteidigungsminister, neben den verabscheuungswürdigen Nazi-Monstern der Hamas - eine historische Schande, die für immer in Erinnerung bleiben wird“, sagte Katz nach Angaben seines Büros.

Oppositionsführer Lapid verurteilt Haftbefehlanträge

Der israelische Oppositionsführer Jair Lapid hat den Antrag auf Haftbefehle gegen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Joav Galant durch den Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) verurteilt. Lapid sprach am Montag von einem „völligen moralischen Versagen“.

Der ehemalige Ministerpräsident schrieb bei X: „Wir können den empörenden Vergleich zwischen Netanjahu und Sinwar nicht akzeptieren, zwischen den Anführern Israels und den Anführern der Hamas.“

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Auch die israelische Oppositionspolitikerin Merav Michaeli nannte die Entscheidung Khans einen „Skandal, den der Staat Israel nicht akzeptieren kann und will“. Man könnte Israels Führung „nicht in dieselbe Kategorie tun wie eine schändliche, grausame Terrororganisation“.

Gleichzeitig sagte die Vorsitzende der sozialdemokratischen Arbeitspartei, Israel habe unter Netanjahus Führung einen beispiellosen und gefährlichen Tiefpunkt erreicht. „Es ist gefährlich für Israels nationale Sicherheit, für die Gewährleistung der Existenz des Staates Israel.“ Sie forderte: „Netanjahus zerstörerische Farce muss sofort enden.“

Auch die Hamas stellt sich gegen die Anträge

Die Hamas kritisierte ihrerseits die Anträge des Chefanklägers auf Haftbefehle gegen ihre Anführer. „Seine Entscheidung vergleicht das Opfer mit einem Henker und ermutigt die (israelische) Besatzung, den genozidalen Krieg fortzusetzen“, hieß es in einer Stellungnahme, die von dem Hamas-nahen TV-Sender Al-Aksa verbreitet wurde.

Der Strafgerichtshof ermittelt bereits seit 2021 gegen Palästinenser und Israelis wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen im Gazastreifen. Israel erkennt das Gericht zwar nicht an, aber Palästina ist seit 2015 Vertragsstaat, und daher ist das Gericht auch befugt, mutmaßliche Täter für Verbrechen in den seit 1967 besetzten Gebieten wie dem Westjordanland und dem Gazastreifen zu verfolgen.

Der Krieg im Gazastreifen war am 7. Oktober durch den Großangriff der radikalislamischen Hamas auf Israel ausgelöst worden. Khan hatte Ende 2023 Israel und die palästinensischen Gebiete besucht und bekräftigt, dass zu Verbrechen auf allen Seiten des Krieges ermittelt werden müsse.

Der Internationale Strafgerichtshof verfolgt Individuen wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und Aggressionskrieg.

Khan hatte auch bereits internationale Haftbefehle gegen vier hochrangige Russen erlassen wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen in der Ukraine, darunter auch gegen Präsident Wladimir Putin. (dpa, AFP, KNA)

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